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Kampf der Social-Media-Apps In der Kürze liegt die Zukunft

Instagram setzt auf unterhaltsame Kurzvideos, um den derzeit größten Konkurrenten mit dessen eigenem Erfolgsrezept zu schlagen. TikTok prägt den Zeitgeist, steht in den USA aber vor dem Verkauf - oder dem Aus.
Junge Handynutzer: Wie geht es mit TikTok und Instagram weiter?

Junge Handynutzer: Wie geht es mit TikTok und Instagram weiter?

Foto: ViewApart/ Getty Images/iStockphoto

"Wir stellen Reels vor, eine neue Art, kurze, unterhaltsame Videos auf Instagram zu erstellen und zu entdecken." Das kündigte Instagram-Chef Adam Mosseri am Mittwoch seinen Twitter-Followern an, garniert mit einem Gute-Laune-Musikvideo. Der Techjournalist Jason Abbruzzese reagierte mit nur einem Wort , in Anführungszeichen: "neu". Adam Mosseris Antwort darauf klang nicht mehr nach einem Werbespruch. "Fair", schrieb der Instagram-Chef. "TikTok, oder eigentlich Musical.ly, gebührt die Anerkennung."

Schon dieser Dialog zeigt: Der Social-Media-Markt ist im Umbruch, Kurzvideo ist der aktuelle Megatrend - und jeder will die Nummer eins sein. Firmen kaufen und kopieren sich, über die Zukunft von TikTok entscheidet jetzt sogar die US-Regierung mit.

TikTok, eine App des chinesischen Konzerns ByteDance, ist zwischen die Fronten des Handelskriegs geraten. Mit geschätzt 800 Millionen aktiven Nutzern weltweit ist die Plattform offenbar zu mächtig geworden, um der US-Politik und Donald Trump egal zu sein. Dem Präsidenten hatten TikTok-Nutzer erst im Juni ein PR-Fiasko mit eingebrockt, als das Trump-Team bei einem Event in Tulsa mit Hunderttausenden Unterstützern rechnete, aber nur einige Tausend kamen.

TikTok könnte in den USA nun unter fragwürdigen Umständen Teil von Microsoft oder aber verboten werden - das entscheidet sich bis Mitte September (mehr zum Streit um TikTok lesen Sie hier ). Die Video-Community hängt in der Luft, zwischen Weltuntergangsstimmung und schnödem Tagwerk: dem Veröffentlichen meist witziger Clips, oft mit Popmusik unterlegt.

"Wir sind gekommen, um zu bleiben", sagt derweil Theo Bertram, fürs Verhältnis der Plattform zu Europas Regierungen zuständig, um zumindest TikTok-Fans in Ländern wie Deutschland zu beruhigen: "Nutzer brauchen sich keine Sorgen zu machen." Man habe auch schon viele Wettbewerber und Nachahmer gehabt, sagt Bertram dem SPIEGEL, "aber es gibt einen Grund, warum Menschen auf unserer Plattform sind."

15 Sekunden Ruhm

Das Erbe des Original-TikToks wird auch in den USA wichtig bleiben. Typische TikTok-Clips dauern maximal 15 Sekunden, sie laufen - wenn man sich nicht zum nächsten Video wischt - in Endlosschleifen. Dass auf TikTok bis heute viel getanzt und performt wird, liegt daran, dass die App 2018 mit Musical.ly fusioniert wurde. In dem Lipsync-Dienst konnte man auch ohne Gesangstalent zum Bühnenstar werden, die App sprach Kinder und Jugendliche an. ByteDance hatte Musical.ly 2017 gekauft, zuvor hatte auch Facebook erwogen, die Musik-App zu übernehmen.

Mit der Musical.ly-Nutzerbasis, ordentlich Eigenwerbung, vor allem aber endlos vielen Kurzvideos auf dem ersten App-Screen ist TikTok seitdem vielerorts zu einer der populärsten Apps überhaupt geworden. Dienste wie Vine setzten schon früher auf kurze Clips, TikTok aber brachte sie in den Mainstream. Gerade in der Coronakrise waren und sind die zumeist amateurhaft-authentischen, zeitlosen Videos eine willkommene Abwechslung zum Nachrichten-Horror und erst recht zu viel längeren YouTube-Videos oder Netflix-Serien.

Die Clips sind schnell produziert, nach dem Prinzip: eine Idee, eine Botschaft, ein Gag pro Video. Während für viele YouTube- und Instagram-Inhalte professionelle Kameras, Tonangeln oder Schnittkünste gebraucht werden, reicht für ein typisches TikTok-Video die Handykamera.

Aber nicht nur das Videoformat macht TikTok so beliebt. Der Hauptweg, Videos zu entdecken, ist der "Für dich"-Feed der App. Hier landen, in einem Mix aus Algorithmus und menschlicher Kuratierung, Clips verschiedenster Leute, nicht nur Inhalte von Freunden oder Stars, denen man folgt. TikTok gilt als Hitmaschine, die einen über Nacht zum Webstar machen kann.

"Wir sind die Generation Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom"

Chris Equale und Sarah Rasmussen, 32 und 33, begannen erst Ende März, auf einem Kanal namens "Hammy & Olivia Corgi"  Hunde-Videos auf TikTok zu stellen. Das Gebell ihrer Corgis synchronisieren sie mit lustigen Sprüchen. Nach 137 Hunde-Clips haben sie schon 1,5 Millionen Follower.

TikTok-Account "Hammy & Olivia Corgi": Sprechende Hunde mit mehr als einer Million Followern

TikTok-Account "Hammy & Olivia Corgi": Sprechende Hunde mit mehr als einer Million Followern

Foto: Hammy & Olivia / tiktok

"Wir sind die Generation Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom", sagt das Paar aus Las Vegas. "Wir wollen Inhalte konsumieren, die uns sofort fesseln und die unsere Aufmerksamkeit nicht allzu lange binden." TikTok sei "auf wunderbare Weise" um diese Psychologie herum gebaut.

Die Facebook-Tochter Instagram kann dagegen vorhersehbar wirken. Ihren Hauptfeed müssen sich Nutzer durch Abos selbst zusammenstellen, primär geht es um schöne Aufnahmen, schöne Menschen. Mit seiner Funktion Reels, die in 50 Ländern inklusive Deutschland und den USA verfügbar ist, bedient sich Instagram jetzt bei TikTok: Zur Funktion gehört ein Kurzvideo-Schaufenster, in dem grundsätzlich jeder Reels-Nutzer landen kann.

Unterhaltung von normalen Leuten

"Reels ist für uns ein Kernstück für die Zukunft der Unterhaltung", sagt Instagram-Produktchef Vishal Shah dem SPIEGEL. "Es ist Unterhaltung, die nicht nur von großen Medienunternehmen ausgeht, sondern von normalen Leuten wie dir und mir." Im Stil von TikTok setzt auch Instagram bei Reels auf ein 15-Sekunden-Limit, so wie es Facebook bereits bei einer eigenständigen TikTok-Kopie namens Lasso tat, die aber mangels Erfolg in Testmärkten wie Mexiko kürzlich eingestellt wurde. "Es ist einfacher, in einer kurzen Zeitspanne unterhaltsam zu sein", sagt Shah dazu, das Zeitlimit helfe Menschen beim Überlegen, was sie aufnehmen könnten.

Shah glaubt, dass Reels eigene Stars hervorbringen wird, "die nächste Generation Creator". Mit Reels wolle Instagram Videomachern helfen, "die eine Idee, aber noch kein Publikum haben, eben jenes Publikum zu finden."

Und hat Instagram TikTok nun dreist kopiert? "Wir haben immer gesagt, dass TikTok sehr beeindruckende Arbeit damit geleistet hat, das Format nach vorne zu bringen", sagt Shah. "Gleichzeitig haben wir uns darauf fokussiert, wie man ein solches Produkt innerhalb von Instagram bauen könnte." Man habe verstehen wollen, "wie es zu den Dingen passt, die wir tun." 

Gutes Timing, unklare Perspektive

Die Bloomberg-Reporterin Sarah Frier ist Instagram-Expertin, mit "No Filter" hat sie ein Buch über den Aufstieg der Plattform geschrieben, die 2012 von Facebook gekauft wurde. Das Timing des Reels-Launch hält Frier für perfekt, "wenige Tage, nachdem Trump damit drohte, TikTok in den USA zu verbieten".

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Sarah Frier

No Filter: Die Instagram-Story

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Preisabfragezeitpunkt

19.04.2024 01.36 Uhr

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Aber wird Reels automatisch ein Erfolg, weil Instagram mit über einer Milliarde Nutzer so groß ist? Die Facebook-Geschichte habe bewiesen, dass es nicht ausreiche, einem breiten Publikum einfach ein Produkt vorzustellen, sagt Frier. "Man muss auch eine Community und eine Kultur um das Produkt herum entwickeln."

Instagram habe zahlreiche Vine-Stars aufgenommen, als jene Kurzvideo-App eingestellt wurde, so Frier. Zunächst aber habe sie auf Reels viele Wiederholungen von TikTok-Videos gesehen.

Eine Instagram-Kultur, eine Instagram-Ästhetik gibt es eigentlich: Hochglanz. Passt dazu die neue App in der App? TikTok jedenfalls hat ein anderes Image, es steht für coole, gern selbstironische, auch mal ernste Clips: Menschen wollen bei anderen Emotionen wecken, nicht nur bewundert werden.

Die Alternativen sind zahlreich

Diverse Skandale, etwa zu seinen Moderationsrichtlinien, hat TikTok durchlebt, die Teenie-App und ihr Publikum sind erwachsener geworden. Instagram hat - wie Googles Videoplattform YouTube, die Sarah Frier sogar für den direkteren TikTok-Konkurrenten hält - einen ernsthaften Rivalen. Das gilt erst recht, wenn Microsoft als möglicher neuer Eigentümer des US-Geschäfts die App auch noch für Menschen interessant macht, die wegen des politischen Theaters um sie herum bisher die Finger davon ließen.

Ob Reels TikTok auskontern kann, wird die Zeit zeigen. Doch Kurzvideo ist populärer denn je, von Dubsmash über Byte und Triller stehen diverse Apps bereit, um im Fall eines TikTok-Aus dessen Nutzer abzufischen.

Byte, ein Projekt eines Vine-Mitgründers, hatte schon im Juli, als der Streit um TikTok hochkochte, Neuerungen für seine App in Aussicht gestellt . Angekündigt wurden Features, die nach TikTok klangen, angeblich wegen einer hohen Nachfrage. Byte hätte auch twittern können: "Fair, TikTok, oder eigentlich Musical.ly, gebührt die Anerkennung."