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Streitfrage Karneval in der Kita - ist das für Kinder schädlich?

Sollten Kinder Karneval feiern? Entwicklungspsychologe Malte Mienert ist skeptisch. Hier erklärt er, warum süßes Aussehen kein Argument ist - und gibt einen guten Rat.
Ein Interview von Armin Himmelrath
"Die Bedürfnisse und Interessen der Kinder im Blick haben": Junge in einer Berliner Kita (Archivbild)

"Die Bedürfnisse und Interessen der Kinder im Blick haben": Junge in einer Berliner Kita (Archivbild)

Foto: Alina Novopashina/ dpa
Malte Mienert
Foto: privat

Malte Mienert, Jahrgang 1975, studierte Psychologie an der Humboldt-Universität Berlin. Er forschte unter anderem in Berlin, Bremen und London vor allem zur frühkindlichen Entwicklung  und ist seit Mai 2019 als Professor assoc. an der Swiss School of Management (SSM) tätig. Dort ist er für das Studienprogramm in frühkindlicher Bildung zuständig.

SPIEGEL: Herr Mienert, eine Erfurter Kita hat Eltern aufgefordert, ihre Kinder ausgerechnet an Rosenmontag und Faschingsdienstag nicht zu verkleiden. Begründet wurde das mit einem kultursensiblen pädagogischen Ansatz, zudem könnten die Kinder überfordert sein. Wie gut sind diese Argumente?

Malte Mienert: Ohne den Fall genau zu kennen: Wenn so etwas debattiert wird, muss man aufpassen, dass nicht primär die Interessen der Erwachsenen aufgegriffen werden. Über die Frage, ob man Karneval in der Krippe oder Kita feiern kann und soll, diskutiere ich seit Jahren mit sehr vielen Einrichtungen. Eltern und Erzieher sollten dabei nicht über Brauchtum streiten, sondern die Bedürfnisse und Interessen der Kinder im Blick haben. Und da ist die Antwort ziemlich klar: Karneval mit Verkleidungen hat in Einrichtungen mit Kindern bis zu drei Jahren nichts zu suchen.

SPIEGEL: Aber die Kinder haben doch Spaß daran, sich in andere Menschen oder Tiere zu verwandeln. Und ein Kind im Tigerkostüm sieht doch auch niedlich aus.

Mienert: Das ist ein typischer Eltern-Einwand aus der Erwachsenenperspektive. Tatsächlich wissen wir, dass Kinder bis zum Alter von drei Jahren den Transformationsprozess beim Verkleiden nicht nachvollziehen können - nicht einmal dann, wenn die Veränderung direkt vor ihren Augen passiert und es sich obendrein um eine vertraute Person handelt. Da kann mitunter schon eine Brille oder eine andere Haarfarbe dafür sorgen, dass sie diesen Menschen nicht mehr wiedererkennen.

SPIEGEL: Was ist schlimm daran?

Mienert: Nicht alle Kinder empfinden das als bedrohlich, aber so weit müssen wir es ja gar nicht kommen lassen. Sie nehmen diese Person dann einfach als fremd wahr. Das Argument, so etwas schade den Kindern ja nicht, lasse ich jedenfalls nicht gelten. Es geht in Krippe und Kita um Bedürfnisse und Lebenswohl der Kinder - und um nichts anderes.

SPIEGEL: Und dieses Wohlergehen sehen Sie durch den Karneval pauschal gefährdet?

Mienert: Nein, natürlich nicht. Aber es muss einen verantwortungsvollen, entwicklungspsychologisch vertretbaren Umgang mit dem Verkleiden geben. Wenn Kinder vier Jahre und älter sind, gehen sie normalerweise zu Rollen- und Fantasiespielen über. Freiwillig und aus Eigeninteresse sollten sie sich dann auch verkleiden können - aber eben: freiwillig. In keinem einzigen Bundesland steht in den Bildungsplänen der Fasching als verpflichtendes Element drin.

SPIEGEL: Und wie sollen sich Eltern nun verhalten?

Mienert: Ein Standardrezept gibt es nicht - aber vielleicht eine Anregung. Die Sphären von Kita und Elternhaus sollten klar getrennt werden: In der Kita sind die fachlich ausgebildeten Erzieherinnen zuständig, zu Hause die Eltern. Wenn sich also die Einrichtung aus guten Gründen gegen Verkleidungen an Karneval ausspricht, sollten die Eltern dies akzeptieren und nicht vom kulturellen Untergang des Abendlands sprechen.

SPIEGEL: Und wenn die Familie Karneval feiert…

Mienert: … dann sollten Erzieher und Erzieherinnen die Eltern nicht belehren wollen, dass die angeblich alles falsch machen. Denn das ist in meinen Augen oft der dahinterliegende Konflikt: Da geht es um die Deutungshoheit darüber, wer das bessere, modernere, aufgeklärtere Erziehungskonzept hat. Aber das ist wieder so eine Erwachsenen-Debatte, bei der die Kinder aus dem Blick zu geraten drohen.

SPIEGEL: Karnevalsfreie Kitas - das werden Sie im Rheinland und süddeutschen Fastnachts-Hochburgen niemals durchgesetzt bekommen.

Mienert: Sie haben vermutlich recht. Die härtesten Diskussionen habe ich in Konstanz geführt - da wird mit zum Teil gruseligen Masken eine Art von Fastnacht gefeiert, die sogar mir als Erwachsenem Angst macht. Alle, die mit Kindern zu tun haben, sollten sich ehrlich fragen: Haben die Kinder wirklich Freude und Spaß? Oder dient das Ganze vor allem dem Vergnügen der Eltern? Wenn das so ist, sollte man es lieber lassen.

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