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Deutsche Niederlage gegen Ungarn Das Bayern-Problem wird zum DFB-Problem

Krise im Verein, Krise im Nationalteam? Stellvertretend für den Bayern-Block beim DFB schlug Thomas Müller nach 45 schwachen Minuten und einem 0:1 gegen Ungarn Alarm. Der Nations-League-Gruppensieg ist nun unerreichbar.
Geschlagen, niedergeschlagen: Thomas Müller verlor mit der deutschen Nationalmannschaft nach schwacher Leistung gegen Ungarn

Geschlagen, niedergeschlagen: Thomas Müller verlor mit der deutschen Nationalmannschaft nach schwacher Leistung gegen Ungarn

Foto: Christian Charisius / dpa

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Bayerische Verstimmung: Es war vor allem dieser eine Satz von Thomas Müller, der aufhorchen ließ. »Wir haben extrem viele Fehler gemacht«, ließ Müller die erste Hälfte des Nation-League-Spiels gegen Ungarn Revue passieren. Und dann: »Vielleicht hat man schon auch gemerkt, dass bei vielen aktuell die Phase im Verein nicht die leichteste ist.« Zu diesen Vielen, das ließ Müller durchklingen, zählte er besonders auch sich selbst und die drei weiteren Stammspieler plus Joker Jamal Musiala, die vom schwächelnden FC Bayern München zur DFB-Auswahl gestoßen waren. 45 Minuten lang hatte das deutsche Team eine Partie gespielt, die Bundestrainer Hansi Flick »sehr schlecht«, Außenbahnspieler Jonas Hofmann »richtig scheiße« nannte. Vor Flick und dem deutschen Team liegt bis zum WM-Start im November noch jede Menge Arbeit. Milde interpretiert war es ein Warnschuss zum rechten Moment. »Der Trainer hat das im Griff«, beschwor Joshua Kimmich.

Das Ergebnis: 0:1 unterliegt die deutsche Mannschaft Ungarn in Leipzig. Es ist die erste Niederlage unter Flick – sie nimmt dem DFB-Team die Chance, in der Nations League noch ins Final Four-Turnier 2023 einzuziehen. Lesen Sie hier den Spielbericht.

Eisern Ungarn: Christoph Kramer gelingt das erstaunliche Kunststück, seine Karrieren als TV-Experte und Bundesligaprofi parallel verlaufen zu lassen. Für den 31-Jährigen läuft das derzeit beides ganz vorzüglich: In der Bundesliga sind Kramers Gladbacher Sechster, vor dem Ungarn-Spiel der DFB-Elf glänzte Kramer am ZDF-Mikrofon. »Wenn Union Berlin ein Land wäre, dann sicherlich Ungarn«, brachte Kramer die giftige, gut organisierte Spielweise der Gäste auf dem Punkt. Eiserne und Magyaren haben neben der Grundordnung in der Dreierkette und Dauerläufer András Schäfer im Mittelfeld auch gemein, in der Tabelle ganz oben zu stehen: Union in der Bundesliga, Ungarn in der Nations-League-Gruppe A3.

Szenen einer Ecke: So verwunderte es nicht, wie gut und griffig die vom Italiener Marco Rossi trainierten Ungarn sich im 5-3-2 gegen den Ball aufstellten, wie zügig und schnörkellos sie nach vorne spielten – und wie gefährlich sie nach Standards wurden. Einen Eckstoß von Dominik Szoboszlai verlängerte der Ex-Mainzer Ádám Szalai per Hacke ins Tor (17. Minute). Danach ergriff das Publikum in Leipzig bei jedem weiteren Eckball der Ungarn offenbar die kalte Angst. Nach 35 Minuten äußerte sich das darin, dass Szoboszlai, als Profi von RB eigentlich in der Leipziger Arena heimisch, bei der nächsten Ausführung gleich mit diversen Papierkugeln attackiert wurde. Fans hatten diese aus den Überbleibseln einer Choreografie in Gedenken an den verstorbenen DFB-Ehrenspielführer Uwe Seeler geknüllt, Szoboszlai zeigte sich verdutzt.

Torschütze und Vorbereiter: Ádám Szalai, Dominik Szoboszlai

Torschütze und Vorbereiter: Ádám Szalai, Dominik Szoboszlai

Foto: JOHN MACDOUGALL / AFP

An der Form vorbei: Was genau hingegen die deutsche Mannschaft in der ersten Hälfte nach vorn versuchte, war nicht so leicht zu erkennen. Dabei hatte Bundestrainer Hansi Flick vor Anpfiff seine Gedanken dargelegt, etwa zur Aufstellung des im Sommer auch auf Klubebene nach Leipzig zurückgekehrten Timo Werner. Der solle hinter die Abwehrkette sein Tempo ausspielen: »Da wollen wir versuchen, mit Tiefenläufen auch Lücken zu reißen.« Das klappte mäßig, Werner sammelte bis zum Pausenpfiff sieben Ballkontakte. Auch weitere im Klub zuletzt formschwankende Spieler wie David Raum oder Serge Gnabry hatten Probleme, dazu versandeten zu viele deutsche Angriffe, weil zu viele in Hauruck-Manier quer über den Platz geschlagene Spielverlagerungen schlecht vorbereitet beim Gegner landeten.

Kehrer korrigiert : Flick reagierte in der Pause mit einem Wechsel, der nur auf dem Papier ein defensiver war. Flügelstürmer Gnabry musste Verteidiger Thilo Kehrer weichen. Trotzdem verbesserte die Anpassung per Dominoeffekt das deutsche Offensivspiel: Dank Kehrer konnte der besser aufgelegte Hofmann in der Außenspur nach vorn rücken. Gepaart mit größerem Mut, in die ungarische Formation hineinzuspielen, ergaben sich nun Chancen: Gegen Leroy Sané parierte Péter Gulácsi per Fuß (51.), Müllers Treffer zählte wegen eines Hofmann-Abseits nicht (53.), Werner traf nur Gulácsi (57.), Sané das Außennetz (60.). Das Powerplay korrigierte ein wenig den Eindruck des Desasters, der sich vor der Pause aufgedrängt hatte, nicht aber das Ergebnis.

Ziel verfehlt, aber besser als England: Für die deutsche Mannschaft mag die Nations League nur eine Ansammlung besserer Testkicks sein. Der Misserfolg bedeutet aber auch: Mehr als Testkicks, diesmal womöglich schlechtere, wird es im Jahr 2023 nicht geben. Als Gastgeber der EM 2024 überspringt die DFB-Elf die Qualifikation, ein Einzug ins Final Four der Nations League wäre die einzige Chance auf echte Pflichtspiele kommenden Sommer gewesen. Das hat nicht geklappt, aber es hätte noch schlimmer kommen können: Der Abschlussgegner am Montag (20.45 Uhr, TV: RTL), EM-Finalist England, steht nach einer 0:1-Niederlage in Italien bereits als Absteiger in die B-Liga fest. Diese sportliche Schmach hat sich die DFB-Elf zumindest erspart.