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Diana-Huldigung bei den Filmfestspielen in Venedig Prinzessin auf der Knallerbse

Der Regisseur Pablo Larraín fantasiert im Film »Spencer«, der in Venedig Premiere feierte, über das letzte Weihnachten von Prinzessin Diana im Kreis der Royals – und zeigt eine psychisch schwer angeknackste Heldin.
Kristen Stewart als Prinzessin Diana in »Spencer«: Letzte Weihnachtstage im Kreis der Royal Family

Kristen Stewart als Prinzessin Diana in »Spencer«: Letzte Weihnachtstage im Kreis der Royal Family

Foto: KomplizenFilm / DCM

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Es gibt viele Möglichkeiten, der zeitlebens oft unglücklichen britischen Prinzessin Diana zu gedenken. Elton John zum Beispiel hat ihr gleich nach ihrem Tod 1997 ein Lied hinterhergesungen, im Londoner Hyde Park blubbert seit 2004 ein Princess-Di-Gedächtnisbrunnen, im Garten des Kensington Palace wird seit diesem Jahr mit einer Statue an sie erinnert. Auf die Idee, eines ihrer Kleider einer Vogelscheuche auf einem britischen Acker anzuziehen, ist aber erst der chilenische Regisseur Pablo Larraín gekommen. »Spencer« heißt sein Film im Wettbewerb um den Goldenen Löwen bei den 78. Filmfestspielen in Venedig.

In ihm fantasiert sich der Südamerikaner mit viel deutschem Filmfördergeld eine weihnachtliche Zusammenkunft der bereits hoffnungslos zerstrittenen Eheleute Diana und Charles zusammen, ein leicht irres Familienfest im Kreis der Royals im britischen Schloss Sandringham im Jahr 1991. Ein paar Monate später gab der Hof offiziell die Trennung des Paars bekannt.

Im Grunde betätigt sich Larraín hier vor allem als Meister des Foto-Reenactments. Vor einigen Jahren hat er die Schauspielerin Natalie Portman im Film »Jackie: Die First Lady« lauter ikonische Bilder aus Jackie Kennedys Leben in Kostümen nachstellen lassen, die historischen Vorbildern nachempfunden waren. Nun macht er Ähnliches, indem er die Schauspielerin Kristen Stewart als Prinzessin-Diana-Doppelgängerin ablichtet. Sein Film ist immer dann ganz bei sich, wenn er Stewart in typischen Diana-Kostümen zeigen kann, mit Diana-Augenaufschlag, in prächtig eingefrorenen Tableaus. »Spencer« protzt mächtig mit Schmerzensbildern einer schönen jungen Frau in herrschaftlicher Umgebung.

Der Regisseur hat es mit dem Frost

Schwer daneben und blöde aufdringlich ist »Spencer« allerdings immer dann, wenn der Regisseur seine hübsch ausstaffierten Figuren irgendwie miteinander in Aktion treten lassen will. Dann stellt er den Darsteller Jack Farthing als Prince Charles in symmetriesüchtiger Starre am einen Ende eines Billardtischs auf und seine wütend auf den Tischrand klopfende Gattin am anderen Ende. So diskutieren die beiden über die Frage, ob die gemeinsamen Söhne zum Weihnachtsfest Tiere totschießen dürfen. »Die Leute wollen nicht, dass wir sind wie sie«, sagt Charles. Natürlich plumpst bald eine Billardkugel zu Boden. Ein andermal sieht man Stewart als von Bulimie geplagte Diana vor dem Klosett knien und sich übergeben, bevor sie ihrer von Sally Hawkins gespielten Lieblingszofe die Tür öffnet und sich in deren Armen ausheult – am liebsten darüber, dass die Royals zu knausrig sind, um zu heizen, weshalb man in ihren Gemäuern immer frieren muss.

Mit dem Frost hat es der Regisseur Larraín. Seine Diana mampft nachts im Speisekühlraum Hühnerschenkel und Torte, sie spaziert in leichtem Kleid nächtens über den mit Raureif benetzten Schlossrasen, sie tröstet im Schlafsaal ihre unter dicken Bettdecken bibbernden Söhne – und fährt tags darauf mit ihnen trotz der offenbar eisigen Temperaturen im offenen Cabrio durch die Winterlandschaft. »Spencer« sei eine »Märchenfabel aus einer realen Tragödie«, heißt es im Vorspann. Sie handelt deutlich erkennbar von einer Prinzessin, die sich in das Reich einer Eiskönigin (der hier stets dämonisch lächelnden Queen) verirrt hat und von einem metaphysischen Frösteln geplagt wird.

Prinzessin-Diana-Darstellerin Stewart: Zur surrealen Rebellin stilisiert

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Foto: KomplizenFilm / DCM

Kristen Stewarts zornige, zu jeder Familienzusammenkunft zu spät kommende und nur ihren Söhnen zugewandte Diana hat wenig Ähnlichkeit mit der herzerwärmend verspielten, anrührend verstörten Diana, mit der die Schauspielerin Emma Corrin in der vierten Staffel der Netflix-Serie »The Crown« ein Millionenpublikum verzückte.

In »The Crown« wurden die Zuschauerinnen und Zuschauer mit den Mitteln der Soap über das Leiden der Princess of Wales an der Seite ihres leider großteils anderweitig verliebten Gatten informiert – im Detail höchstwahrscheinlich nicht immer historisch korrekt, aber mit überwältigendem Erfolg. Im Gegensatz zu »The Crown« interessiert sich Larraíns Film nicht für die psychologischen Feinheiten der Kämpfe, die Prinzessin Diana aus Eifersucht, gegen das starre Protokoll und wegen ihrer Liebe zum Glamour ausfechten musste. »Spencer« versteht sich als surreale Skulptur zu Ehren einer Rebellin und Modegöttin.

Gespenster aus der Vergangenheit

Um ihre Heldin auf den Kunstsockel zu heben, dichten der Regisseur Larraín und sein Drehbuchautor Steve Knight – er hat sich unter anderem die Zwanzigerjahre-Gangsterserie »Peaky Blinders« ausgedacht – Diana eine Begeisterung für die historische Königin Anne Boleyn an. Boleyn wurde im Jahr 1536 enthauptet, weil ihr Mann Heinrich VIII. eine andere Frau heiraten wollte. In »Spencer« spukt sie nun, von der Schauspielerin Amy Manson verkörpert, als Geistererscheinung durch die Flure und Gemächer von Schloss Sandringham. Sie ist nicht das einzige Gespenst aus der Vergangenheit, das die offenbar seelisch schwer angeschlagene Prinzessin Diana herbeihalluziniert. Durch Flashbacks in glückliche Kindertage wird Dianas notorische Liebe zu ihrem Vater, dem achten Earl Spencer, beschworen.

Diese Vaterliebe ist auch der Grund dafür, dass Diana im Film »Spencer« eine Vogelscheuche von einem alten Regencoat befreit, weil der Lumpen mal ihrem Vater gehörte, und ihn durch ein gelbes Kostüm aus ihrem gloriosen Fundus ersetzt. Um diesen schwer symbolischen Akt in Gang zu setzen, sieht man sie bereits zu Beginn des Films mit wildem Blick, im engen Rock und auf Stöckelschuhen durch Ackerfurchen marschieren, schon hier eine Prinzessin auf der Knallerbse.

Nach den Vorführungen in Venedig wurde »Spencer«, der großteils an deutschen Schloss-Schauplätzen, unter anderem im Taunus, gedreht wurde und mehr als vier Millionen Euro aus deutschen Fördertöpfen erhielt, mit kurzem, freundlichem Beifall bedacht. Ein paar britische Zeitungen feiern den Film dafür, dass er dem Mythos der Prinzessin angeblich neue, unerwartete Glanzlichter aufsetzt. Ein Londoner Boulevardblatt wünscht der US-Schauspielerin Kristen Stewart für ihre Diana-Darstellung sogar einen Oscar an den Hals. Das ändert nichts daran, dass der »Spencer«-Film eine schrecklich statische, erschütternd langweilige Kunstübung ist. Sie sei ein »magnet for madness«, sagt die Heldin Diana einmal im Film. Leider hat sie in »Spencer« nicht einen Regisseur zu interessantem Irrsinn inspiriert, sondern wird nur als gut angezogenes Prinzessinnen-Psychowrack denunziert.