Weinlese an der Mosel :
Auch im Wein ist Klimawandel

Von Elisa Müller
Lesezeit: 5 Min.
Bevorzugte Steillage: Winzerin Eva Lenhardt prüft die Trauben des Mehringer Blattenbergs.
An der Mosel hat die Lese längst begonnen – viel früher als noch vor einigen Jahren. Der Klimawandel stellt die junge Winzerin Eva Lenhardt vor neue Herausforderungen.

Das Auto holpert den schmalen Weg hin­auf. Steile Weinberge rechts und links. Die letzten morgendlichen Nebelschwaden klaren auf und geben die Sicht auf ein grünes Meer an Weinreben frei. Am Steuer eine Winzerin, die den Wagen ans Ziel lenkt: den Mehringer Blattenberg. ­Einige Reben, die hier stehen, sind schon mehr als 100 Jahre alt.

Eine schmale Schiefertreppe führt ­hinauf zu den Rebstöcken. Die Winzerin bahnt sich ihren Weg. Das ist nicht so einfach, der Blattenberg ist eine Steil­lage. Doch der Ausblick lohnt sich: Die Sonne bringt im Hang die Trauben zum Leuchten, im Tal lässt sie das Wasser der ­Mosel glitzern. Hier wächst vor allem Riesling, eine spätreifende Rebsorte, die den Weinbau an der Mosel prägt.

„Wir sind mitten in der Lese“, sagt Winzerin Eva Lenhardt mit Blick auf einige Arbeiter, die zwischen den Rebstöcken stehen. Ein paar der Helfer laden gerade Trauben, die sie gelesen haben, auf einen Anhänger. Gleich werden sie Mittags­pause machen.

Vegetationsperiode der Pflanzen verschiebt sich

Früher habe man noch im November Trauben gelesen, erzählt die Winzerin. Aufgrund der warmen Temperaturen in den vergangenen Jahren habe sich aber die Vegetations­periode der Pflanzen verschoben. Mittlerweile lesen sie daher schon Mitte September. Bei sommerlichen Temperaturen von 25 Grad bedeutet das eine Traubenlese im T-Shirt. Früher war das unvorstellbar. „Der Klimawandel ist im Weinberg angekommen“, sagt Eva Lenhardt. Das heißt unter anderem: größere Hitze, mehr Wetterextreme.

Eva Lenhardt betreibt mit ihrer Mutter und ihrem Bruder das Weingut Lenhardt in der Ortsgemeinde Mehring im Landkreis Trier-Saarburg in Rheinland-Pfalz. Einige Jahre lang hatte sich die Familie auf die reine Traubenproduktion spezialisiert. Seit dem Jahr 2017 stellen sie wieder eigene Weine her.

An einem Rebstock prüft die Winzerin einzelne Beeren und erzählt von diesem Weinjahr. Bis Ende Juli war es sehr trocken. Gerade für junge Reben, deren Wurzeln noch nicht tief genug gewachsen sind, sei das schlecht gewesen. Die Reben gerieten in Trockenstress. Als Symptome dafür nennt die Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau unter anderem eingetrocknete Ranken und Triebspitzen sowie vertrocknende Blätter.

Trockenphasen werden in Zukunft häufiger

Trockenphasen werde es auch in Zukunft immer öfter geben, sagt die Winzerin. Daher müsse über eine zusätzliche künstliche Bewässerung nachgedacht werden. Eva Lenhardt sieht das kritisch, vor allem für die ganze Fläche. Denn künftig müsse Wasser eher gespart werden, sagt sie. Trinkwasser sei ein knappes Gut. Neben den trockeneren Standorten gebe es aber auch solche, die mehr Wasser im Boden zur Ver­fügung hätten. Jeder Weinberg reagiere deshalb anders auf Wassermangel.

Die Winzerin lässt ein wenig Erde durch ihre Hände rieseln. Die Moselregion ist für ihren Schiefer­boden bekannt. Der nährstoffreiche Schiefer bietet beste Voraussetzungen für eine mineralische Note im Wein. Er speichert tagsüber die Wärme der Sonne und kann sie nachts an die Pflanzen abgeben. Gerade das war jahrelang ein Vorteil im Weinbau. In Zeiten trockener und heißer Sommermonate kann das den Pflanzen allerdings schaden. Ist die Sonneneinstrahlung hoch, erhitzt sich der Schiefer stark – und gibt viel Wärme ab. Junge Reben verbrennen regelrecht. In den nächsten Jahren neue Reben zu pflanzen werde daher zu einer Herausforderung, sagt Eva Lenhardt.

Die Traubenlese ist auch für sie früher entspannter gewesen. Die warmen Temperaturen lassen die Trauben schneller reifen. „Das Zeitfenster, in dem gelesen werden muss, wird immer kleiner.“ In einer Woche kann sich im Weinberg viel ändern. Deshalb kommt Eva Lenhardt zurzeit jeden Tag in ihre Weinberge, um nach den Trauben zu schauen: Wie haben sie sich entwickelt? Wie schmecken sie? Hat sich die Schale schon verfärbt? Regen schadet bei der Lese besonders, und nicht nur, weil die Trauben faulen können. Zu viel Regen kann sie sogar platzen lassen. Die Winzerin hält eine von Fäulnis verfärbte lilafarbene Beere in der Hand. Ein wenig verschrumpelt ist sie, wie eine Rosine, und sie schmeckt auch so. Vollreife edelsüße Trauben nutzt sie für die Beerenauslese, einen natursüßen Wein, der nur aus handgelesenen und edelfaulen Beeren bestehen darf.

Traubenlese bald in der Nacht?

Vom Weinberg aus geht es zurück ins Weingut und in den Weinkeller, in dem die Trauben am besten kühl verarbeitet werden. Auch das wird mit steigenden Temperaturen während der Lese zu einer Herausforderung. Eva Lenhardt erzählt von ihrem Praktikum in Portugal. Dort sei es normal gewesen, schon nachts oder frühmorgens mit der Lese zu beginnen. Wird die Traubenlese bei Nacht bald auch an der Mosel normal? Die Winzerin nickt. Sie könne sich durchaus vorstellen, in Zukunft schon um vier Uhr morgens zu lesen. Dem Klimawandel müsse sie sich aber nur im Weinberg stellen. Bei der Produktion im Keller ändere sich wenig.

Hier kommt der Saft der Trauben in große Fässer, in denen er gärt und zu Wein wird. Den Prozess, den man riechen kann, kontrolliert die Winzerin mit ihrem Bruder und ihrer Mutter von nun an über Monate. „Jeder Wein erzählt die Geschichte des Jahrgangs“, sagt Eva Lenhardt.

Zwei Stockwerke über dem Keller lädt die Familie zu Weinproben in die 2017 erbaute Vinothek. Eva Lenhardt erzählt von den Erwartungen, die das Publikum an den Wein hat. „Klimawandel ist auf jeden Fall ein Thema für Wein-affine Menschen.“ Oft höre sie, dass ein Jahrgang aufgrund des warmen und trockenen Klimas doch besonders toll werden müsse. Trockenheit sei aber nicht immer gut, sagt sie, auch wenn der Reifeverlauf dadurch vorangetrieben wird.

Je mehr Reife, desto mehr Zucker

Wie also entwickelt sich der Geschmack der Weine, wenn sich die Bedingungen im Weinberg verändern? In den vergangenen zwei Jahrzehnten habe es übers Jahr mehr Sonneneinstrahlung gegeben, sagt die Winzerin. Das bedeute für die Pflanzen früh im Jahr mehr Photosynthese, was mit einer höheren Zuckerproduktion einhergehe. „Während der alkoholischen Gärung wandelt sich der ­Zucker dann in Alkohol um.“ Je länger die Trauben in heißeren Sommerjahren reifen, desto mehr Zucker bilden sie und desto höher ist später der Alkoholgehalt im Wein. Dabei können die Säurewerte sinken. Was nicht im Sinne der Winzer ist.

Trauben enthalten von Natur aus Säuren, unter anderem Weinsäure. Während der Gärung entsteht noch mehr Säure. Sie ist ein wichtiger Bestandteil des Weins, vor allem des Rieslings, auf den die Winzer an der Mosel besonders stolz sind. Doch wie geht es weiter in den Weinbergen, in denen sich der Klimawandel zunehmend bemerkbar macht? Gerade der Riesling ist empfindlich und mag es eher kühl, braucht darum in Zukunft wohl mehr Schatten und mehr Bodenfeuchte.

Hat der Riesling also Bestand an der Mosel? Weit in die Zukunft kann auch die Winzerin nicht blicken. Sie nimmt die Herausforderung jedes Jahr aufs Neue an. Man wisse im Januar nicht, wie sich die kommenden Monate entwickelten. „Alle Entscheidungen, die man trifft“, sagt Eva Lenhardt, „könnten komplett richtig sein – oder komplett falsch.“