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Schäuble und der Klimawandel Warum es kein Problem wie jedes andere ist

Die Regierung nimmt sich mehr Klimaschutz vor. Doch das Problembewusstsein der Union scheint sich in den vergangenen Jahren nicht verändert zu haben, wie eine aktuelle Aussage von Wolfgang Schäuble zeigt.
Eine Analyse von Jonas Schaible
Unionspolitiker Schäuble: »Bin eher für langsam«

Unionspolitiker Schäuble: »Bin eher für langsam«

Foto: Kay Nietfeld / picture alliance / dpa

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Wie weit ist Deutschland eigentlich auf dem Weg, möglichst schnell klimaneutral zu werden? Die vergangenen Wochen konnten da selbst interessierte Beobachter verwirren.

Einerseits stellte das Bundesverfassungsgericht fest, das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung sei in Teilen verfassungswidrig . Die Freiheitsrechte der Jüngeren drohten übermäßig beschnitten zu werden.

Nicht sehr weit, also?

Andererseits überboten sich Mitglieder der Regierung darin zu betonen, sie hätten ja stets mehr gewollt. Das Kabinett beschloss im Eiltempo eine Reform, die sich an dem orientiert, was die Thinktanks Agora Energiewende, Agora Verkehrswende und die Stiftung Klimaneutralität derzeit für machbar halten : Klimaneutralität in Deutschland 2045.

Nun also sehr weit? Die Regierung bekämpft die Klimakrise mit voller Kraft? Die Union ist ergrünt?

Klimakrise

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In dieser Lage hat Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) bei der Veranstaltung »Leipzig liest extra«  einen bemerkenswerten Satz über die Klimakrise gesagt, der hilft, die politische Lage zu sortieren. »Wir haben doch größere Probleme auch schon bewältigt«, so zitiert ihn die »Welt«.

Es ist ein klärender Satz. Er zeigt, dass sich doch noch längst nicht alles geändert hat.

Die Ziele nähern sich dem Notwendigen an

Um zu verstehen, wieso, hilft es, einmal schematisch zu formulieren, wie politische Problemlösung funktioniert: Politik erkennt Handlungsnot, formuliert neue Ziele, nimmt diese Ziele ernst und bringt zielführende Maßnahmen auf den Weg.

Auf die Klimapolitik übertragen, sieht die Lage so aus:

Bis vor etwa drei Jahren hatten Politik und Gesellschaft noch nicht einmal grundsätzliche Handlungsnot erkannt, auch wenn es internationale Abkommen und unzureichende nationale Ziele gab. Klimapolitik kümmerte Wählerinnen und Wähler nicht wirklich und auch die Politik kaum. Ein Randthema, nichts für die wichtigen Leute.

Die Klimaschutzbewegung und heiße, trockene Sommer haben das geändert.

Die Klimaziele wurden, wie beschrieben, mehrmals angepasst und nähern sich jetzt dem Notwendigen an. Der entscheidende letzte Schritt, die Umsetzung in Maßnahmen, steht noch aus. Wie sie aussieht, hängt maßgeblich davon ab, wie ernst die Politik das Problem nimmt.

Damit ist man bei Schäubles Satz.

»Wenn ich vor der Alternative stehe, etwas schnell oder langsam durchzusetzen, bin ich eher für langsam. Denn der Preis für schnelles Handeln ist der Verlust der Freiheit«

Wolfgang Schäuble

Der macht deutlich, dass das Problembewusstsein nicht Schritt gehalten hat mit den immer neuen Zielen – dass es sich mitunter nicht einmal verändert hat.

Schäuble hat sich nämlich schon einmal so geäußert: »Wir haben in der Geschichte viel größere Herausforderungen bewältigt.« Das war Ende 2019, als die Ziele der Regierung und damit der Union noch jene waren, die das Verfassungsgericht nun beanstandet hat.

Vergangenes Jahr diskutierte er in einem Streitgespräch im SPIEGEL mit der Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer. Er kritisierte, viel sei versäumt worden, er bejahte, dass eine riesige Aufgabe auf das Land zukomme. Er sagte aber auch: »Wenn ich vor der Alternative stehe, etwas schnell oder langsam durchzusetzen, bin ich eher für langsam. Denn der Preis für schnelles Handeln ist der Verlust der Freiheit.«

Klimaschutz sei nur ein Thema unter vielen, mit denen sich Politik zu beschäftigen habe.

Drei Jahre, drei sehr ähnliche Analysen: Schäuble spricht viel von der Klimakrise, aber er spricht von ihr wie von einem großen politischen Problem unter vielen.

Nur ist sie das nicht. Das lässt sich feststellen, ohne sich an einer Rangliste des Schreckens zu versuchen. Man muss nicht beurteilen, ob die Klimakrise das größte politische Problem bisher ist, um anzuerkennen, dass sie ein neuartiges, ein besonderes Problem ist.

Was die Klimakrise einzigartig macht

Erstens ist sie allgegenwärtig. Sie steht nicht neben allen anderen Politikfeldern, sie beeinflusst sie alle: Außenpolitik, Sicherheit, Wirtschaft, Soziales, Migration, Verkehr, Landwirtschaft, Wohnen. Es gibt keinen Ort und keine Zeit außerhalb der Klimakrise. Man kann ihr nicht entkommen.

Man kann deshalb auch nicht, wie bisher so oft, Kosten externalisieren, also anderen aufbürden. Natürlich trifft die Klimakrise manche härter und einige im globalen Norden erst einmal weniger hart. Aber über kurz oder lang sind da keine anderen.

Zweitens schafft sie, wenn sie ungebremst weiterläuft, eine neue Welt. Selbst wenn alle Staaten der Erde nur auf ihrem aktuellen politischen Kurs bleiben, könnten Kinder, die heute auf die Welt kommen, in Schäubles Alter eine Erde erleben, die heißer ist, als sie jemals ein Homo Sapiens erfahren hat.

Es geht buchstäblich darum, dass heutige Kitakinder auf einem ganz anderen Planeten leben könnten. Niemand kann wissen, wie Gesellschaften damit klarkommen. Wahrscheinlich kann es sich nicht einmal jemand vorstellen.

Der drohende Kontrollverlust

Drittens wird die Klimakrise entweder in den nächsten Jahren eingedämmt, oder sie wird nicht eingedämmt. Sie verstärkt sich selbst, wenn sogenannte Kipppunkte überschritten werden: wenn das Eis schmilzt, der Permafrost taut, der Amazonas abstirbt . Nichts, was die Menschen dann noch tun, wird den Prozess aufhalten. Es wäre der komplette Kontrollverlust.

Wann genau diese Kipppunkte erreicht sein werden, lässt sich mit Sicherheit nicht sagen. Lange ist es wahrscheinlich nicht mehr hin. Die Wissenschaft hat Hinweise darauf, dass einige Prozesse bereits jetzt ein Eigenleben entwickeln. Das kurze Zeitfenster, um zu handeln, schließt sich bereits.

Normale politische Probleme bleiben dagegen verfügbar: Eine Steuerreform kann jetzt oder zehn Jahren beschlossen werden. Landesgrenzen lassen sich prinzipiell zu jedem Zeitpunkt schließen oder öffnen. Sogar Kriege kann man, den entsprechenden Willen oder die entsprechenden Mittel vorausgesetzt, prinzipiell zu jedem Zeitpunkt beenden.

Viertens kann die Klimakrise nicht mit den üblichen Methoden bekämpft werden, weil so großer Zeitdruck besteht und zu allem Überfluss mit fossilen Energieträgern die Grundlage moderner Gesellschaften aus unseren Leben verschwinden müssen. So steht der Menschheit nicht weniger als eine gesteuerte Revolution bevor, wenn sie die ungesteuerte Revolution verhindern will, die ihre Kinder unweigerlich fressen würde.

Die Klimakrise widersetzt sich den Routinen von Politik und besonders entschieden der Methode des Konservatismus von Schäubles Union. Der lebt davon, eine politische Forderung so lange zu blockieren, bis sie nicht mehr zu verhindern ist, und sie dann einzugliedern ins eigene Weltbild. Er verteidigt, was er eben noch bekämpft hat, weil es nun zu ihm gehört.

Konservatismus ist Reformismus in letzter Sekunde als Machttechnik. Sich den Kopf zu zerbrechen über die Natur und das Wesen eines politischen Problems, war dazu nie nötig. Womöglich wäre es sogar hinderlich gewesen.

Diese Methode funktionierte über Jahrzehnte, weil die politischen Probleme in der Nachkriegsgesellschaft verfügbar blieben. Sie konnten ein Jahrzehnt früher oder eben später gelöst werden, wann immer der Zeitgeist so weit war. Die Klimakrise ist anders beschaffen.

Die Ziele der Klimaschutzpolitik hat die Union angepasst, ihre Methode offenbar noch nicht.

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