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Prokrastination "Lieber nur die Hälfte vornehmen"

Acht von zehn Deutschen drücken sich hin und wieder vor wichtigen Aufgaben. Warum das nichts mit Faulheit zu tun hat und welche Tipps wirklich helfen, erklärt Laura Thomas von der Prokrastinationsambulanz der Uni Münster.
Von Lara Jäkel
Prokrastination: Wenn Trödeln zur Belastung wird

Prokrastination: Wenn Trödeln zur Belastung wird

Foto: Adri Berger/ Getty Images

SPIEGEL ONLINE: Frau Thomas, warum schieben wir wichtige Aufgaben so gerne vor uns her?

Laura Thomas: Das ist eigentlich ein sehr logisches Verhalten: Durch das Aufschieben vermeiden wir ein kurzfristiges unangenehmes Gefühl, das mit der Aufgabe verbunden ist. Wenn wir uns entscheiden, stattdessen etwas vergleichsweise Angenehmes zu machen, fällt diese Anspannung oder Angst von uns ab. Das bestärkt uns in unserem Verhalten und wir schieben mit hoher Wahrscheinlichkeit auch beim nächsten Mal wieder auf. Davon sind besonders Menschen betroffen, die viel selbstständig arbeiten - zum Beispiel Freiberufler oder Studierende.

Zur Person
Foto: WWU

Laura Thomas, Jahrgang 1990, ist Psychologin in der Prokrastiantionsambulanz der Universität Münster. Dort promoviert sie zum Thema Prokrastination.

SPIEGEL ONLINE: Gegen das Aufschieben findet man unzählige Tipps in Ratgebern und im Internet. Wofür braucht es dann noch eine Prokrastinationsambulanz?

Thomas: Man muss unterscheiden zwischen alltäglichem Aufschieben und Prokrastination. Von Prokrastination spricht man erst, wenn das Verhalten das Leben beeinträchtigt: wenn man etwa finanzielle Probleme bekommt, weil man Rechnungen nicht rechtzeitig bezahlt, oder mit nahestehenden Personen streitet, weil man alltägliche Pflichten nicht erledigt. Oft leidet auch das eigene Wohlbefinden darunter: Die Betroffenen können nicht mehr richtig abschalten, haben Schlafstörungen, Selbstzweifel oder sogar Depressionen. Auf unserer Webseite kann man durch einen Selbsttest herausfinden, ob das eigene Verhalten als problematisch einzustufen ist.

SPIEGEL ONLINE: Wie helfen Sie Ihren Patienten?

Thomas: Unsere Methoden beruhen auf der kognitiven Verhaltenstherapie. Dabei werden erlernte Verhaltensmuster - wie etwa das Aufschieben - hinterfragt und durch neue ersetzt. In Einzel- und Gruppenberatungen lernen die Studenten, wie sie ihre Aufgaben realistischer planen können. Indem man beispielsweise ein Projekt in einzelne Schritte aufteilt, wirkt es nicht mehr wie eine unüberwindbare Hürde. Wir nennen das die "Straßenkehrertechnik": Auch wenn die Straße endlos scheint, sollte man sich erstmal nur auf die nächsten 50 Meter konzentrieren.

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SPIEGEL ONLINE: Also schreibe ich eine To-do-Liste, und das Aufschieben hat ein Ende?

Thomas: Das Wichtigste ist, realistisch an eine Aufgabe heranzugehen - auch das kann man in der Prokrastinationsambulanz lernen. Wir neigen dazu, uns zu überschätzen. Deswegen sollte man sich lieber nur die Hälfte von dem vornehmen, was man ursprünglich geplant hatte, und genügend Pufferzeit einbauen. Rituale können das pünktliche Beginnen erleichtern: Kurz durchlüften, den Computer hochfahren, eine Tasse Kaffee trinken - und los geht's. Zudem sollte man Ablenkungen vermeiden, indem man etwa das Handy in einen anderen Raum legt, und sich ab und zu belohnen - zum Beispiel mit einem Stück Schokolade oder einem Spaziergang.