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Carolin Emcke über #MeToo Eine von allen

Warum denken wir, dass eine Frau auf dem Hotelzimmer ihres Kollegen mit dem Schlimmsten rechnen muss? Carolin Emcke spricht in ihrem Buch über #MeToo an, was sonst ausgespart wird - und schont auch sich selbst dabei nicht.
Carolin Emcke: Wie vieles fällt einem sonst nicht ein?

Carolin Emcke: Wie vieles fällt einem sonst nicht ein?

Foto: Britta Pedersen/ picture alliance / Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/ZB

Ein #MeToo-Buch also. Ist nicht inzwischen alles gehört, jede Geschichte erzählt? Was soll jetzt noch kommen? Moralischer Zukunftsblick? Handzettel fürs respektvolle Flirten? Oh nein, eine Chronik der Ereignisse?

Weder noch. Was folgt, ist richtig gut. Gedanklich so frei, dass es sich nicht auf eine einzige Debatte beschränken lässt. Das neue Buch "Ja heißt ja und ...", geschrieben von Carolin Emcke. Auch die Autorin zweifelt am Anfang, sogar gleich zu Beginn im ersten Satz. Nie jedoch am Thema: Emcke ringt um die Wahrheit und Wahrhaftigkeit ihrer folgenden Sätze, ihrer eigenen Empfindungen und Erkenntnisse. Und dabei nimmt sie einen erstaunlich gut mit, selbst wenn man gar nicht so große Lust auf ein theoretisches Buch hat.

Das hat vor allem damit zu tun, dass Carolin Emcke, der 2016 nach ihrer Auszeichnung mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels unter anderem selbstgefälliger Pathos vorgeworfen wurde, nicht nur angenehm schnörkellos von sich erzählt, sondern dabei explizit anspricht, was sonst oft ausgespart bleibt. Unangenehme Leerstellen, die weit über die bloße Auseinandersetzung mit übergriffigen Männern in Bademänteln hinausweisen. Momente, die auch Emcke als große feministische Stimme nicht nur gut aussehen lassen. Denn was sie in ihrem Werk verhandelt, ist eben nicht das, was alle schon gut können.

Da ist zum Beispiel dieser Abend, an dem sie mit einigen anderen Gästen bei einer Freundin und deren Mann eingeladen ist. Alle an einer Tafel, Gespräche, Essen. Bis das Paar im Kinderzimmer verschwindet und ein Schlag zu hören ist. Die Freundin kommt zurück, weint, tut dann als wäre nichts gewesen. Sie wurde aber offensichtlich geschlagen. Was tun?

"Damals konnte ich nur über zwei Reaktionen nachdenken: sie mitzunehmen oder sie dazulassen, wie sie es wünschte", schreibt Emcke. "Einfach in das Zimmer zu gehen, in dem der Mann sich verbarg, ihn anzusprechen, die Dinge beim Namen zu nennen, ihn zu konfrontieren - davor hatte ich keine Angst, darauf bin ich nicht gekommen. Das ist mir noch nicht mal eingefallen."

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Emcke, Carolin

Ja heißt ja und ...

Verlag: S. FISCHER
Seitenzahl: 112
Für 15,00 € kaufen

Preisabfragezeitpunkt

23.04.2024 17.47 Uhr

Keine Gewähr

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Wem wäre es eingefallen? Und wie vieles fällt einem sonst nicht ein? Weil es nicht üblich ist? Weil die Dinge eben nicht so beim Namen genannt werden? Gewalt, das macht Emcke schnell klar, ist nur dann unantastbar, wenn es dafür keine konkreten Beschreibungen gibt. Sie benennt also alles möglichst genau. Manchmal nervt das, so ausführlich macht sie es. Manchmal erschreckt man sich ein wenig. Emcke rüttelt etablierte Denkmuster durch.

Wie zum Beispiel das, dass doch Frauen, die Männer auf Hotelzimmern zu einem Meeting treffen, wissen müssten, was sie dort erwartet. "Ist naiv, wer nicht damit rechnet, mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen zu werden, wer nicht damit rechnet, an den Haaren über den Boden geschleift, ins Badezimmer gezogen, gewaltsam penetriert zu werden, ist selbst schuld, wer nicht damit rechnet, bepisst und gequält zu werden? Ist wirklich so ahnungslos, wer erwartet, nicht vergewaltigt zu werden?"

Der Emcke-Nachdenk-Sound

Emcke kramt im Verlauf des Buches noch die eine oder andere persönliche Erinnerung hervor. Sie gibt viel von sich preis, das aber ohne sich aufzudrängen oder sich allein ins Rampenlicht zu rücken. Dabei ist der Text genau dafür entstanden: Als Lecture Performance an der Schaubühne Berlin, erstmals von Emcke aufgeführt im Dezember 2018 und noch immer dort mit ihr zu sehen.

"Ich wollte mich gerne etwas mehr ausliefern mit dem Text", hat sie dazu angekündigt. Ihr Buch also sprechen. Vor Publikum. Sich auch körperlich verhalten müssen. Es lohnt sich, das bei der Lektüre im Kopf zu behalten. Manche Stellen verlangen geradezu danach, laut ausgesprochen zu werden.

Der Emcke-Nachdenk-Sound macht es einem jedenfalls leicht, selbst ein wenig mehr zu denken als sonst so auf dem Sofa. Obwohl oder gerade weil Carolin Emcke sich unermüdlich an Sexismus, Missbrauch und Diskriminierung abarbeitet, allem also, von dem man eigentlich gehofft hat, dass es im Jahr 2019 gar kein Thema mehr sein sollte. Der Monolog ist dabei analytisch stark, ihre etwas zu plakativ ausformulierten Forderungen nicht immer unbedingt. Doch Emcke schafft etwas, das kaum jemand hinbekommt: Sie erzählt gleichzeitig von sich und von uns allen.

So ist es ein sehr menschliches Buch geworden. Und teilweise wirklich sexy. Der Titel "Ja heißt ja und ..." lässt das Nein nur erahnen. Es ist Emcke deswegen sicher nicht weniger wichtig. Nein heißt nein. Ja heißt aber eben auch ja. Emcke verwendet das Wort "Lust" jedenfalls häufiger als den Hashtag-Begriff #MeToo, was der Debatte gut tut, sie ganz entspannt aus der Gegen-das-Flirten-und-gegen-den-Sex-Ecke rückt. "Das ist sie: die Lust, die sich mit Neugier paart, mit Unwissen. Das ist sie: die Lust, die eine gemeinsame Sprache der Körper, der Gesten und der Worte sucht. Die Lust kann explosiv, radikal, albern, kurios, zart oder kraftvoll sein. Sie kann ein endloses Spektrum an Praktiken bereithalten. Aber sie entsteht nur aus der Zustimmung: dem Ja, und..."."

Am Ende ist der Zweifel aufgehoben.

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