Bundesverfassungsgericht Eilanträge gegen Impfpflicht für Klinikpersonal gescheitert

In der Pflege, Arztpraxen und Kliniken soll bald die Corona-Impfpflicht gelten. Quelle: dpa

Die beschlossene Corona-Impfpflicht in Pflege, Praxen und Kliniken hat eine Klagewelle ausgelöst. Hunderte Betroffene haben Verfassungsbeschwerden eingereicht. Bis zur Grundsatzentscheidung darüber kann die Umsetzung vorerst aber wie geplant starten.

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Die Corona-Impfpflicht für Pflege- und Gesundheitspersonal kann aus rechtlicher Sicht wie geplant ab Mitte März umgesetzt werden. Das Bundesverfassungsgericht lehnte es im Eilverfahren ab, die Vorschriften vorläufig außer Kraft zu setzen. Die Entscheidung vom Donnerstag wurde am Freitag in Karlsruhe veröffentlicht. Damit ist noch nicht über die vielen Verfassungsbeschwerden gegen die Teil-Impfpflicht entschieden. Die umfassende Prüfung steht noch aus. (Az. 1 BvR 2649/21)

Geklagt haben überwiegend ungeimpfte Beschäftigte und auch Einrichtungsleiter, die weiter ungeimpftes Personal beschäftigen wollen. Die Richterinnen und Richter nahmen im Eilverfahren nur eine Folgenabwägung vor. Sie prüften, was die schlimmeren Konsequenzen hätte: wenn sie erst einmal alles laufen lassen, obwohl die Klagen berechtigt wären – oder wenn sie die Impfpflicht vorübergehend aussetzen und sich diese später als verfassungsgemäß herausstellt.

Diese Abwägung ging zum Nachteil der Klägerinnen und Kläger aus. „Der sehr geringen Wahrscheinlichkeit von gravierenden Folgen einer Impfung steht die deutlich höhere Wahrscheinlichkeit einer Beschädigung von Leib und Leben vulnerabler Menschen gegenüber“, teilte das Gericht mit. Die Impfpflicht begegne „zum Zeitpunkt dieser Entscheidung keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken“.

Die Richter merken allerdings kritisch an, dass im Gesetz nichts Genaueres zum Impf- und Genesenennachweis stehe. Es werde lediglich auf eine Verordnung mit weiteren Verweisen auf Internetseiten des Paul-Ehrlich-Instituts und des Robert Koch-Instituts verwiesen.

Die sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht soll alte und geschwächte Menschen vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus schützen, die ein besonders hohes Risiko haben, sehr schwer zu erkranken oder daran zu sterben. Sie gilt für Beschäftigte in Pflegeheimen und Kliniken, aber zum Beispiel auch in Arztpraxen und bei ambulanten Diensten, für Hebammen, Physiotherapeuten und Masseure. Sie alle müssen bis 15. März 2022 nachweisen, dass sie voll geimpft oder kürzlich genesen sind. Neue Beschäftigte brauchen den Nachweis ab 16. März von vornherein. Für Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können, gilt eine Ausnahme.

Fehlt der Nachweis, muss das Gesundheitsamt informiert werden, um den Fall zu untersuchen. Es kann dem Betroffenen dann verbieten, die Einrichtung zu betreten oder seine Tätigkeit weiter auszuüben.

Die Bundesregierung hält den gesetzlichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit für gerechtfertigt. Die besonders Gefährdeten könnten sich zum Teil nicht selbst vor einer Infektion schützen. Die Menschen in ihrem Umfeld hätten daher eine besondere Verantwortung.

Die Karlsruher Absage fiel in eine Woche, in der es wegen der Impfpflicht ohnehin hoch herging. Am Montag hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) angekündigt, den Vollzug zunächst auszusetzen, weil viele Fragen ungeklärt seien. Inzwischen scheinen sich die Wogen etwas zu glätten. Aber auch von anderer Seite hatte es zuletzt Bedenken gegeben, dass die Prüfung der einzelnen Fälle kaum zu leisten sei. Außerdem wird befürchtet, dass die Durchsetzung zu große Lücken beim Pflegepersonal reißt.

Der Ärzteverband Marburger Bund forderte, dass über die Umsetzung der Pflicht beim kommenden Treffen von Bund und Ländern beraten wird: „Anstatt über viele Lockerungen zu sprechen, sollte die Ministerpräsidentenkonferenz in der nächsten Woche viel dringender klären, wie die einrichtungsbezogene Impfpflicht umgesetzt wird“, sagte die Verbandsvorsitzende Susanne Johna dem RND. Es sei undenkbar, dass die Gesundheitsämter eine Ermessensentscheidung ohne klare Richtlinien vornehmen müssten. „Das ist den Gesundheitsämtern schon im Normalfall nicht zuzumuten und erst recht nicht angesichts der hohen Belastung in der Pandemie.“

Lesen Sie auch: Seit Jahren fehlt es in der Pflege an Personal. Wird eine Impfpflicht den Pflegenotstand verschärft?

Am Mittwoch kommen Bund und Länder erneut zu Gesprächen über die weiteren Schritte in der Pandemie zusammen.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, warnte angesichts der unklaren Corona-Datenlage vor verfrühten Lockerungen. Zwar hätten die Bürgerinnen und Bürger nach vielen Monaten der Disziplin ein Anrecht auf eine Öffnungsperspektive, über die nun nachgedacht werden müsse. „Trotzdem ist Vorsicht geboten“, sagte Reinhardt der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Freitag). „Uns fehlen nach wie vor verlässliche und umfassende Daten zum aktuellen Infektionsgeschehen.“

Nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts (RKI) gab es in Deutschland zuletzt binnen sieben Tagen 420.000 Arztbesuche wegen Covid-19. In der vergangenen Woche habe sich die Zahl entsprechender Arztbesuche im Vergleich zur Vorwoche noch deutlich gesteigert, geht aus dem am Donnerstagabend veröffentlichten RKI-Wochenbericht hervor. Seit dem Jahreswechsel stieg die Zahl der Arztbesuche demnach an, und in fast allen Altersgruppen werden die Werte voriger Corona-Wellen deutlich überschritten.

Mehr zum Thema: In Pflege- und Gesundheitsberufen gilt bald die Impfpflicht. Eine Arbeitsrechtlerin erklärt, wer auf Ausnahmen hoffen darf – und warum den Gesundheitsämtern eine Klagewelle droht.

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