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Krieg in der Ukraine Kämpfe um Flughafen bei Cherson, Selenskyj droht Russland – das geschah in der Nacht

Russische Truppen sollen im Süden der Ukraine starke Verluste erlitten haben. Der ukrainische Präsident Selenskyj fordert Moskau zu ernsthaften Gesprächen auf. Derweil warnt EU-Kommission vor einer Hungersnot. Der Überblick.
Zerstörte russische Hubschrauber auf einem Rollfeld des Flughafens Tschornobajewka bei Cherson

Zerstörte russische Hubschrauber auf einem Rollfeld des Flughafens Tschornobajewka bei Cherson

Foto: Maxar Technologies / dpa

Der ukrainische Präsident Selenskyj fordert von Russland die territoriale Unversehrtheit der Ukraine – und ruft das Land zu ernsthaften Verhandlungen auf. Die Behörden des Landes bemühen sich unterdessen um die Evakuierung der meistgefährdeten Brennpunkte bei Kiew. In der Stadt Mariupol ist die Lage weiterhin besonders dramatisch. Die EU-Kommission spricht von »apokalyptischen Zuständen«, denen die Menschen in den belagerten Städten ausgesetzt sind. Alle aktuellen Entwicklungen finden Sie hier:

Was in den vergangenen Stunden geschah

Am Flughafen Tschornobajewka bei Cherson wird nach ukrainischen Angaben weiter erbittert gekämpft. »Wir haben sie dort schon wieder getroffen«, schrieb Olexij Arestowitsch, Berater des Büroleiters von Präsident Wolodymyr Selenskyj, auf Facebook mit Blick auf die russischen Truppen. Die ukrainischen Streitkräfte hätten das russische Militär an diesem Flughafen bereits das sechste Mal überfallen und dem Gegner dort schwere Verluste zugefügt.

Eine Frau beobachtet beschädigte Wohnhäuser in Kiew

Eine Frau beobachtet beschädigte Wohnhäuser in Kiew

Foto: Rodrigo Abd / dpa

In einer Serie von lokalen Gegenangriffen und Attacken mit Kampfdrohnen seien seit Ende Februar mehrere Dutzend russische Kampfhubschrauber sowie zuletzt auch ein Gefechtsstand mit ranghohen Offizieren zerstört worden. Diese Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.

Nach Einschätzung von US-Verteidigungsminister Lloyd Austin hat das russische Militär taktische Fehler in der Ukraine gemacht. Es habe eine »Reihe von Fehltritten« gegeben, sagte Austin in einem Interview des US-Senders CNN. Die russischen Soldaten seien in der Ukraine nicht so schnell vorangekommen, wie sie sich das vorgestellt hätten.

»Sie hatten sich vorgestellt, dass sie schnell vorankommen und sehr schnell die Hauptstadt einnehmen würden, aber sie waren nicht in der Lage, das zu tun«, sagte Austin. Er gehe außerdem davon aus, dass die Russen taktische Informationen nicht gut einsetzen würden. Auch die Zusammenarbeit der Luft- und Bodenstreitkräfte sei nicht gut. »Es gibt also eine Reihe von Dingen, die wir erwartet hätten, die wir aber einfach nicht gesehen haben.«

Humanitäre Lage

Nach der erfolgreichen Rettung von mindestens 50.000 Zivilisten aus Kampfgebieten nördlich und nordwestlich der ukrainischen Hauptstadt Kiew bemühen sich die Behörden nunmehr um die Evakuierung der meistgefährdeten Brennpunkte. »Die Besatzungstruppen erlauben uns nicht, die Evakuierung aus den Brennpunkten fortzusetzen«, teilte Olexij Kuleba, Leiter des humanitären Stabs der Region Kiew, auf Facebook mit. »Aber trotz des Zynismus des Feindes tun wir weiterhin alles, um das Leben unseres Volkes zu schützen.«

In Absprache mit der russischen Seite sind in den vergangenen Tagen wiederholt sogenannte Fluchtkorridore geöffnet worden, über die Zivilisten umkämpfte Städte und Ortschaften verlassen konnten. Die Vereinbarungen wurden nicht immer eingehalten, immer wieder gerieten Zivilisten auch unter Beschuss.

Angesichts der anhaltenden Kämpfe warnt die EU-Kommission vor einer Hungersnot in der Ukraine. »Die Menschen in den belagerten Städten sind apokalyptischen Zuständen ausgesetzt – keine Nahrung, kein Wasser, keine medizinische Versorgung und kein Ausweg«, sagte der zuständige EU-Kommissar Janez Lenarcic für humanitäre Hilfe und Krisenschutz der »Welt am Sonntag«. Die humanitäre Krise in der Ukraine sei heute schon kritisch, sie könne aber noch schlimmer werden. »Diese rücksichtslose Invasion hat vor mehr als drei Wochen begonnen, aber wir beginnen bereits zu sehen, dass eine Hungersnot entsteht.«

Schon jetzt leiden Menschen besonders in belagerten Städten wie der Hafenstadt Mariupol unter Hunger. Augenzeugen hatten von geplünderten Supermärkten berichtet.

Lenarcic sagte, medizinische Einrichtungen hätten große Schwierigkeiten, die lebensnotwendigen Lieferungen, die sie benötigen, zu erhalten. »Das Riesenproblem ist der Zugang. Es ist eine Verpflichtung, humanitären Zugang zu gewähren, ohne jedes Hindernis«, sagte Lenarcic. Die Europäische Kommission baue ihre humanitäre Hilfe mit den Partnern vor Ort aus. »Aber solange die Gefechte anhalten und es keine Waffenpause gibt, können die Menschen, die lebensrettende Hilfen benötigen, nicht erreicht werden.«

Das sagt Kiew:

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Russland nachdrücklich zu ernsthaften und ehrlichen Gesprächen über eine Friedenslösung aufgerufen. »Sinnvolle Verhandlungen über Frieden und Sicherheit für die Ukraine, ehrliche Verhandlungen und ohne Verzögerungen, sind die einzige Chance für Russland, seinen Schaden durch eigene Fehler zu verringern«, sagte Selenskyj in einer Videoansprache . Sollte die territoriale Unversehrtheit der Ukraine nicht wiederhergestellt werden, so werde Russland »ernsthafte Verluste« erleiden.

»Es ist an der Zeit, die territoriale Einheit und Gerechtigkeit für die Ukraine herzustellen«, sagte der ukrainische Staatschef. »Ansonsten wird Russland derartige Verluste erleiden, dass es mehrere Generationen brauchen wird, um sich wieder aufzurichten.«

Wolodymyr Selenskyj

Wolodymyr Selenskyj

Foto: Uncredited / dpa

Selenskyj bekräftigte seine Forderung nach direkten Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über eine Friedenslösung. »Es ist Zeit, zu reden«, sagte er.

Derweil hat der ukrainische Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk mitgeteilt, wo für Kiew die sogenannten roten Linien bei den Friedensverhandlungen mit Russland liegen: Demnach sei die Souveränität und territoriale Unversehrtheit der Ukraine sowie deren staatliche Unabhängigkeit das Wichtigste. Diese Punkte seien »unverrückbar«, hieß es in einem Beitrag auf der Website der Obersten Rada. Stefantschuk ist in die derzeitigen Verhandlungen mit dem Kriegsgegner und den damit verbundenen Entscheidungsprozess eingebunden.

»Wir bewegen uns in die richtige Richtung«, schrieb Stefantschuk weiter. Aber das ukrainische Volk habe für seine Unabhängigkeit bereits mit dem Leben vieler Bürger bezahlt. »Und die Schuld daran trägt Russland.«

Internationale Reaktionen

Die Direktorin des Uno-Kinderhilfswerks Unicef, Catherine Russell, appellierte angesichts der humanitären Notlage in der Ukraine an den russischen Präsidenten Wladimir Putin, die Angriffe seiner Armee sofort zu beenden. »Sie müssen diesen Krieg stoppen! Er ist furchtbar. Seine Auswirkungen auf Kinder sind inakzeptabel und abscheulich«, sagte Russell der Nachrichtenagentur dpa.

Russell zeigte sich besorgt über die Entwicklung in der Ukraine. 148 Mitarbeiter von Unicef seien noch im Land, um die Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen, berichtete Russell. Entlang der Fluchtrouten hat das Hilfswerk nach eigenen Angaben 26 Anlaufstellen, sogenannte »Blue Dots«, eingerichtet, um geflüchtete Menschen zu versorgen und bei bürokratischen Hürden zu vermitteln. Dabei gehe es auch darum, die Menschen zu registrieren, so Russell. Die Hilfsorganisation achte darüber hinaus darauf, dass es nicht zu Menschenhandel und zur Mitnahme von Kindern durch Fremde komme.

Wirtschaftliche Konsequenzen

Belgien will den Atomausstieg um zehn Jahre verschieben. Das nahe der deutschen Grenze gelegene Kernkraftwerk Tihange 3 sowie das bei Antwerpen gelegene Kernkraftwerk Doel 4 sollen bis 2035 weiterlaufen. Durch die Laufzeitverlängerung soll die Energiesicherheit gewährleistet werden. Dabei spielen auch der Krieg in der Ukraine und die zuletzt stark angestiegenen Energiepreise eine Rolle. (Lesen Sie hier mehr)

Was heute passiert

  • In mehreren Städten Deutschlands sind Friedenskundgebungen geplant, darunter sind Münster, Düsseldorf, Magdeburg, Hamburg und Hannover.

  • Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck reist zu Gesprächen über Energiesicherheit nach Katar und in die Emirate. Es soll einerseits darum gehen, sich von russischen Energieimporten unabhängiger zu machen und andererseits um die Umstellung von konventionellem Erdgas auf grünen Wasserstoff.

cop/dpa/Reuters/AFP