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Rassismus und englischer Fußball Wegsehen war gestern

Die rassistischen Beschimpfungen beim EM-Qualifikationsspiel in Bulgarien haben den englischen Fußball erschüttert. Früher sahen Profis, Trainer, Verband und Fans oft darüber hinweg. Heute handeln sie.
Raheem Sterling (r.) feiert mit seinen Teamkollegen der englischen Nationalelf einen Treffer beim 6:0 gegen Bulgarien. Bei diesem Spiel kam es zu rassistischen Beleidigungen.

Raheem Sterling (r.) feiert mit seinen Teamkollegen der englischen Nationalelf einen Treffer beim 6:0 gegen Bulgarien. Bei diesem Spiel kam es zu rassistischen Beleidigungen.

Foto: GEORGI LICOVSKI/EPA-EFE/REX

An diesem Wochenende wird in den Stadien der Premier League ein neues Video gezeigt. Es entstammt der "No Room for Racism"-Kampagne von Liga, Fußballverband (FA), Liga zwei, drei und vier (EFL), Spielergewerkschaft (PFA) und Kick it Out (Anti-Rassismus-Organisation). Als Stars treten unter anderem die Nationalspieler Tammy Abraham von Chelsea und Raheem Sterling von Manchester City auf.

Die schönen Bilder einer nur nach Trikotfarben getrennten Fußballwelt unterscheiden sich kaum von den bekannten, mittlerweile arg routiniert vorgetragenen Bekenntnissen zur Gleichheit, wie man sie von der Fifa, der Uefa oder auch der Bundesliga kennt. Dennoch gibt es einen eklatanten Unterschied, was die eigentliche Botschaft des Videos betrifft.

Den Initiatoren geht es nämlich weniger darum, humanistische Ideale zu erläutern, sondern um couragiertes Handeln auf den Tribünen: "If you see it, report it", steht am Ende des Films auf dem Schirm: ein expliziter Appell an die Fans, rassistische Vorfälle zu melden.

Zu groß für 22 Mann in kurzen Hosen

Die rassistischen Beleidigungen beim EM-Qualifikationsspiel der englischen Nationalmannschaft in Bulgarien beschäftigen den englischen Fußball seit Montagabend. Wieder einmal sind die Zeitungen voll mit dem Thema Rassismus.

Aufgrund seiner kolonialen Geschichte gibt es auf der Insel eine stark ausgeprägte Sensibilität dafür. Mittlerweile hat sich allerdings die entscheidende Erkenntnis durchgesetzt, dass letztlich weder das "Beautiful Game" noch die bewegendsten Imagekampagne den Kampf gegen den Rassismus gewinnen kann. Dieser Gegner ist zu groß für 22 Mann in kurzen Hosen. Umso wichtiger - und aussichtsreicher - ist es deshalb, rassistische Pöbler und dergleichen dort entschlossen zu bekämpfen, wo man sich ihnen am besten erwehren kann. Rund um das Spielfeld, im Rahmen aller sportlichen und gesetzlichen Möglichkeiten.

Als beispielsweise im Dezember 2018 während der 2:4-Niederlage von Tottenham Hotspurs im Nordlondon-Derby beim FC Arsenal eine Bananenschale aus dem Spurs-Block in Richtung Pierre-Emerick Aubameyang flog, wurde der Übeltäter binnen drei Wochen angeklagt und nach Ansicht der Kameraaufnahmen aus dem Emirates Stadion wegen Hooliganismus zu einer vierjährigen Stadionsperre verurteilt. Die zusätzliche Geldstrafe von 500 Pfund fiel besonders hoch aus, da der Richter eine "rassistische Komponente" in dem Fehlverhalten erkannt hatte.

Als Raheem Sterling Ende 2018 bei einer Partie seines Klubs Manchester City gegen den FC Chelsea von gegnerischen Fans rassistisch beleidigt wurde, ging der Offensivspieler an die Öffentlichkeit und warf dem englischen Boulevard vor, "Rassismus zu befeuern". Das entfachte eine Debatte in England, die noch heute nachwirkt. Chelsea verhängte später Stadionverbote gegen sechs Fans.

"Wir haben das größte Statement abgegeben"

"No Room for Racism" an diesem Wochenende wurde lange vor dem Beinahe-Abbruch des Länderspiels in Bulgarien geplant, die Aktion folgt aber der gleichen Logik: Taten bewirken mehr als Worte. In Sofia war das Team von Gareth Southgate geschlossen bereit gewesen, nach Affengeschrei und Hitler-Grüßen auf den Rängen den Platz zu verlassen. Erst die wiederholte Drohung veranlasste die Sicherheitskräfte, einen Block von Neonazis von der Tribüne zu verweisen.

Bulgariens Nationaltrainer Krassimir Balakow wollte von alledem zunächst nichts mitbekommen haben, entschuldigte sich aber später. Am Freitag trat er, wie vorher bereits Verbandspräsident Boris Mihajlow, von seinem Amt zurück. Ein halbes Dutzend mutmaßlicher Täter wurde festgenommen, von Seiten der Uefa drohen schmerzhafte Sanktionen. "Ich denke, wir haben das größte Statement abgegeben, das je einer Nationalmannschaft gelungen ist", formulierte Southgate stolz.

In der Vergangenheit haben englische Fußballfans auf Auswärtsfahrten bisweilen kein gutes Bild abgegeben. Beim Spiel gegen Bulgarien dagegen skandierte der englische Block als Reaktion auf die Beleidigungen: "Rassistische Bastarde, das seid ihr." Auch hier wurde man also selbst aktiv. Für die antirassistische Haltung gab es viel Lob. Dass englische Fans auswärts mal die Guten sein würden, hätte man vielleicht auch nicht unbedingt gedacht.

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41 Jahre nachdem Nottingham Forests Viv Anderson als erster dunkelhäutiger Spieler für die englische Nationalelf auflief, fordern Trainer, Spieler und auch Fans die Betroffenen nicht mehr auf, über Beschimpfungen cool hinwegzusehen, sich nicht provozieren zu lassen. Rassistisch beleidigte Profis sehen auch nicht ein, warum der Fokus auf ihren Reaktionen anstelle der Beschimpfungen liegen sollte. "Unsere Generation hielt die andere Wange hin. Aber die heutige Generation lässt das nicht mehr durchgehen", sagt Ex-Nationalspieler Ian Wright, 55, der Sohn jamaikanischer Einwanderer. Wegsehen war gestern.

Gerade Sterling, aber auch Marcus Rashford von Manchester United und andere Spieler üben Druck auf soziale Netzwerke aus, Verfasser von diskriminierenden Beitrage auszuschließen.

Mit all diesen Maßnahmen wird das Rassismusproblem im Fußball nicht komplett gelöst. Aber sie sind eine Antwort auf die Frage, wie es gelingen kann, ein Mindestmaß an vernünftigem Miteinander zu gewährleisten.

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