Anders Aslund „Putin sind die Kosten egal – das ist sehr gefährlich“

Putin legt den Fokus auf makroökonomische Stabilität, weil alles andere seine Macht gefährden würde. Quelle: imago images

Wie teuer ist Putins Krieg in der Ukraine? Hat Russland wirtschaftliche Motive, sich die Ukraine einzuverleiben? Ökonom und Russland-Kenner Anders Aslund erklärt das aggressive Vorgehen Putins.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Anders Aslund (70), ist Senior Fellow der Washingtoner Denkfabrik Atlantic Council. Der schwedische Ökonom hat Anfang der Neunzigerjahre gemeinsam mit Jeffrey Sachs und David Lipton die russische Regierung unter Boris Jelzin beraten. Mit dem heutigen Vizepräsidenten der EU-Kommission Valdis Dombrovskis arbeitete er in dessen Zeit als lettischer Ministerpräsident zusammen. Aslund gilt als einer der besten Kenner des Endes der russischen Planwirtschaft.

WirtschaftsWoche: Herr Aslund, kann Russlands Präsident Putin sich seinen Angriff auf die Ukraine leisten? Die Annexion der Krim war ja bisher schon ein kostspieliges Abenteuer.
Anders Aslund: Lange Zeit hat Putin aufs Geld geschaut. Regimegegner zu vergiften und ermorden hat nicht viel gekostet. Mit der Besetzung der Krim ist er in eine ganz andere Größenordnung vorgedrungen: Die kostet Russland im Jahr fünf Milliarden Dollar, zwei Milliarden davon alleine für Infrastruktur. Die war dort in einem erbärmlichen Zustand.

Woher stammen die Zahlen?
Diese Zahlen sind offiziell. Bei der Besetzung des Donbass sind wir auf Zahlen des ukrainischen Militärgeheimdiensts angewiesen, der sehr gut ist. Der ukrainische Verteidigungsminister Alexei Resnikow nennt vier Milliarden Dollar im Jahr.

Der schwedische Ökonom Anders Aslund. Quelle: Getty Images

Und welche Summen muss Putin für den Krieg in der Ukraine mobilisieren?
Was Putin hier macht, ist sehr teuer. Das ist echter Krieg mit vielen Ressourcen. Die Kosten des militärischen Angriffs kann ich nicht beziffern. Aber Russlands Ausgaben für Militär betragen etwa sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts, das sich auf rund 1,5 Billionen Dollar beläuft.

Sind Putin die Kosten nun egal, weil er auf Währungsreserven von geschätzt 631 Milliarden Dollar sitzt?
Putin sieht die hohen Währungsreserven als Garant für Souveränität an. Er betont diesen Punkt sehr. Rational gesehen sollte Russland Währungsreserven von rund 150 Milliarden Dollar haben. Wenn die Reserven deutlich darüber liegen, dann drückt das den Lebensstandard in Russland. Putin verfolgt eine Politik der extremen Austerität, die ökonomisch nicht rational ist. Er hat das Land auf einen Krieg vorbereitet.

Lesen Sie auch: Der Westen versucht in seiner Hilflosigkeit, Putin als paranoid darzustellen. Doch wie rational ist die russische Realitätsverweigerung?

Was hat ihm die Austerität gebracht?
Putin legt den Fokus auf makroökonomische Stabilität, weil alles andere seine Macht gefährden würde. Deswegen will er ein kleines Haushaltsdefizit, eine minimale Staatsverschuldung, die bei nur 20 Prozent der Wirtschaftsleistung liegt.

Wirtschaftswachstum war ihm nicht wichtig?
Nein, Russland hatte zwischen 2014 und 2020 kein Wirtschaftswachstum. Die real verfügbaren Einkommen sind in der Zeit um elf Prozent zurückgegangen. Im Juli 2021 hat er ein Wirtschaftsprogramm bis 2030 veröffentlicht, das über zehn Jahre lang kein Wirtschaftswachstum vorsieht und keine Verbesserung des Lebensstandards. Es ist nicht explizit ausbuchstabiert, aber letztendlich kann man es nur so interpretieren.

Hat Putin wirtschaftliche Motive, sich die Ukraine einzuverleiben?
Putin will sich die Rüstungsbranche zurückholen. Vor ein paar Jahren hat mir ein Berater des ukrainischen Verteidigungsministers gesagt, dass die Ukraine keinen eigenen Militärkomplex habe, sondern Teil des russischen Militärkomplexes sei. Die Ukraine stellt vor allem Teile her, die in Russland zusammengebaut werden. Vor 2014 kamen alle russischen Helikoptermotoren aus der Ukraine. Die Raketen, die Astronauten zur internationalen Raumfahrtstation bringen, werden in Dnipropetrowsk produziert. In Charkiv werden Teile für das Luftabwehrsystem S 300 und S 400 produziert, in Kiew Antonov Militärtransporter, die größten Transportflugzeuge in der Welt.

Täuscht der Eindruck, dass für Putin der Preis der Invasion keine Rolle spielt?
Putin sind die Kosten egal – das ist sehr gefährlich. Im Sicherheitsrat und bei seiner Rede am Montag wirkte er nicht rational. Seine Rede hörte sich wie ein Stream of Consciousness an, es fehlte die Struktur. Er saß ohne jedes Skript am Tisch und hat eindeutig nicht von einem Teleprompter abgelesen. Ich glaube, er leidet an Größenwahn. Ich glaube, dass wir ihn mit Hitler vergleichen können.

Das interessiert WiWo-Leser heute besonders

Geldanlage Das Russland-Risiko: Diese deutschen Aktien leiden besonders unter dem Ukraine-Krieg

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine belastet die Börsen. Welche deutschen Aktien besonders betroffen sind, zeigt unsere Analyse.

Krisenversicherung Warum Anleger spätestens jetzt Gold kaufen sollten

Der Krieg in der Ukraine und die Abkopplung Russlands von der Weltwirtschaft sind extreme Inflationsbeschleuniger. Mit Gold wollen Anleger sich davor schützen – und einer neuerlichen Euro-Krise entgehen.

Flüssigerdgas Diese LNG-Aktien bieten die besten Rendite-Chancen

Mit verflüssigtem Erdgas aus den USA und Katar will die Bundesregierung die Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland mindern. Über Nacht wird das nicht klappen. Doch LNG-Aktien bieten nun gute Chancen.

 Was heute noch wichtig ist, lesen Sie hier

Bei allen Sanktionen schreckt der Westen vor Maßnahmen bei Öl und Gas zurück, die seine Einkünfte erheblich schmälern würden. Ist das klug?
Es ist keine gute Idee, etwas zu sanktionieren, das man selbst konsumiert. Russland produziert zwölf Prozent der weltweiten Fördermenge. Sanktionen auf Öl hätten weitreichende Folgen für die Weltwirtschaft.

Lesen Sie auch: Was Putins Eskalation für die Energiepreise bedeutet

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%