"Wir sind in der Klemme" – Seite 1

DIE ZEIT: Die Ampelregierung ist in eine angespannte Weltlage gestartet: Europa, Amerika, Russland und China steigern sich in einen Krieg gegenseitiger Wirtschaftssanktionen hinein ...

Jörg Wuttke: ... und es ist erstaunlich, wie heftig sich China daran gerade in Litauen beteiligt.

ZEIT: Die Volksrepublik hat kurzerhand die Importe aus Litauen eingestellt.

Wuttke: Und alles, weil die litauische Regierung eine unliebsame Position in der Taiwan-Frage bezogen hat, sich zu chinesischen Menschenrechtsfragen äußert und so weiter. Das bringt auch die neue deutsche Bundesregierung gleich in Schwierigkeiten, weil die anderen EU-Staaten sich jetzt mit Litauen solidarisch zeigen müssen. Der Scholz-Regierung wäre es sicher lieber gewesen, erst mal langsam das Gespräch mit China aufzunehmen.

ZEIT: Finden die Chinesen es überhaupt wichtig, was in Deutschland über sie gedacht wird?

Wuttke: Ja, China ist immer sehr beunruhigt, wenn in Berlin die Regierung wechselt. Man war beim Antritt Gerhard Schröders nervös und fast im Panikmodus, als Angela Merkel kam. Danach hat man sich dann jedes Mal angenähert. Angela Merkel wurde in China sehr geschätzt. Sie hat es geschafft, immer Klartext zu sprechen, ohne vor den Kopf zu stoßen. Jetzt ist die Nervosität wieder sehr hoch, das merke ich den Regierungsberatern und Thinktanks hier an.

ZEIT: Kein Wunder, es geht ja nicht nur um die richtige diplomatische Tonlage, sondern um knallharte Wirtschaftsfragen – etwa darum, wie sich die neue Bundesregierung zu US-Sanktionen gegen China verhält oder ob auch Europa häufiger eigene China-Sanktionen erlassen soll.

Wuttke: Die neue Phase der Eskalationen hat damit angefangen, dass China einen anderen Ton angeschlagen hat. Dort scheut man sich nicht mal mehr, dem Westen zu sagen: Ihr geht dem Ende entgegen, und der Osten steigt auf. Die Chinesen sind da nicht besonders feinfühlig.

ZEIT: Die USA sind unter Donald Trump auch nicht gerade feinfühlig mit China umgegangen.

Wuttke: Trump hat den Chinesen stärker Kontra geboten, und Europa sitzt jetzt irgendwo dazwischen. Das wird sich auch erst mal nicht verbessern – und hoffentlich nicht verschlimmern.

ZEIT: Deutsche Firmen, die in China tätig sind, müssen die Sanktionsauflagen aus den USA, aber auch die chinesischen Gesetze beachten. Die Chinesen haben es inzwischen unter Strafe gestellt, wenn ein Unternehmen sich an die amerikanischen Sanktionen hält. Wie gehen die deutschen Repräsentanten in Peking damit um?

Wuttke: Wir sind in der Klemme. Jedes Unternehmen guckt sich heute fünfmal seine Website an und achtet darauf, dass dort bloß nicht das Reizwort Taiwan steht. Jeder prüft seine Werbung darauf, ob es da irgendwas gibt, das der chinesischen Politik nicht passen könnte. Sonst wird daraus rasch ein Riesenskandal. Als Manager aus dem Westen steht man hier robust auftretenden chinesischen Politikern gegenüber, aber auch einer extrem nationalistisch denkenden Szene von Internetbenutzern, die sogar die Regierung vor sich hertreibt. Manchmal fragt man sich: Passen wir als europäische Unternehmen überhaupt noch hierher? Wir können aber nicht weggehen, weil China in den nächsten zehn Jahren der am schnellsten wachsende Markt sein wird.

ZEIT: Was macht denn die größten Probleme?

Wuttke: Hier gibt es zwei sehr hässliche neue Regelungen. Die eine wurde vom Außenhandelsministerium herausgegeben: Wenn eine ausländische Firma gegen Pekings Interessen verstößt, wird gegen sie vorgegangen. Angewendet wurde das allerdings bisher noch nie. Das andere ist das Anti-Sanktionen-Gesetz: Wer sich den US-amerikanischen Sanktionsgesetzen beugt, bekommt in China ein Problem. Aber auch das ist noch nie umgesetzt worden. Wir wissen also nicht, ob das bloß Drohgebärden sind.

"Hier ist ein ganz strammer kommunistischer Apparat entstanden"

ZEIT: Aber heißt das nicht, dass man als Manager eines internationalen Unternehmens jetzt mit einem Bein im Gefängnis steht?

Wuttke: Man kann persönlich zur Verantwortung gezogen werden, aber es gab nur wenige Fälle, in denen Geschäftsleute wirklich in den Knast geworfen wurden. Allerdings sind auch deutsche Topmanager von Dax-Konzernen zeitweise an der Ausreise gehindert worden. Gefährlicher ist es hier für Journalisten, Akademiker oder Mitarbeiter von Thinktanks. Als Geschäftsleute haben wir den Eindruck: Solange wir uns von sensiblen Themen fernhalten, droht keine Gefahr.

ZEIT: Hierzulande wird an deutsche Manager in China aber manchmal der Anspruch gestellt, dass sie die Menschenrechte ansprechen sollten, etwa die Lage der unterdrückten Volksgruppe der Uiguren. Machen Sie das?

Wuttke: Als Kammervertreter mache ich das, auch öffentlich. Aber im Allgemeinen ist es Unternehmensvertretern nicht zu raten, so etwas öffentlich zu tun, denn das würden ihre Firmen zu spüren bekommen. Das geht eher hinter verschlossenen Türen, im direkten Gespräch mit der Regierung.

ZEIT: Wirken Geheimgespräche denn?

Wuttke: Die Deutschen glauben: Wenn Volkswagen, BMW oder BASF etwas sagen, dann ändert die chinesische Regierung ihren Kurs. Das ist natürlich total naiv. Hier ist ein ganz strammer kommunistischer Apparat entstanden, der sich weder von Firmen noch von ausländischen Regierungschefs viel sagen lässt.

ZEIT: Sie sagten vorhin, dass die chinesische Regierung auf jeden Regierungswechsel in Berlin empfindlich reagiere. Warum tut sie das, wenn die deutsche Politik sie ohnehin nichts schert?

Wuttke: Empfindlich ist der falsche Begriff, in Wirklichkeit werden da Anlässe für Machtdemonstrationen gesucht. Die kleinste Unbill wird groß aufgeblasen ...

ZEIT: ... also jede freundliche Aussage über Taiwan, jede Kritik am Umgang mit der Hongkonger Freiheitsbewegung.

Wuttke: Das richtet sich vor allem gegen kleinere Länder – gerade etwa Litauen –, aber auch Norwegen, Kanada oder Australien. Gegenüber den mächtigen USA ist man natürlich vorsichtiger.

ZEIT: Und Deutschland?

Wuttke: Liegt von der Bedeutung her irgendwo zwischen den USA und Kanada.

ZEIT: Immerhin. Eine gewisse Möglichkeit, Einfluss zu nehmen und mit Sanktionen zu drohen, hätte man also doch.

Wuttke: Ich glaube nicht, dass das wirken würde. Meine Frau ist Russin und arbeitet für eine große russische Firma. Ich weiß, was Sanktionen dort wirtschaftlich angerichtet haben, aber sie haben Putin nicht um einen Zentimeter bewegt. Sanktionen behindern ja immer auch die Wirtschaft der sanktionierenden Länder und sind daher eher ein Mittel, um sich selbst Schaden zuzufügen.

ZEIT: Dann hätten sich die USA den ganzen Ärger mit China besser gespart?

Wuttke: Der harte Kurs unter Trump hat den Chinesen doch vor allem gezeigt, dass es keine Garantie dafür gibt, dass Chinas Handelsketten immer funktionieren werden, dass sie also stets importieren können, was sie als Vorleistungen für ihre Industrie brauchen. Das hat sie dazu gebracht, künftig autarker zu werden – und umgekehrt Länder in aller Welt abhängiger von China zu machen. Hier in Peking sitzen Realpolitiker, die letztlich alles als eine Frage der Macht begreifen.