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Lemke über Söders Honecker-Vergleich »So wie mir erging es vielen Menschen in der DDR«

Entgleisung beim Politischen Aschermittwoch: Markus Söder verglich Steffi Lemke mit Margot Honecker. Jetzt hat ihm die Bundesumweltministerin geantwortet.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke

Bundesumweltministerin Steffi Lemke

Foto: Ann-Marie Utz / dpa

Dass Liebe ein Schlachtfeld ist, verriet Pat Benatar der Weltöffentlichkeit 1983 . Dass Kommunikation ein Schlachtfeld ist, verriet spätestens 2022 Elon Musk der Welt durch die Twitter-Übernahme. Die Plattform wurde, das ist ausreichend beschrieben, zu einem einzigartig abartigen Abflussrohr der Kommunikation. An 365 Tagen im Jahr. Wodurch sich zwangsläufig die Frage stellt, ob es den Politischen Aschermittwoch in Deutschland noch braucht, der sich dadurch auszeichnet, dass politische Gegner unter der Gürtellinie niedergemacht werden. Wie bei X, das früher mal Twitter hieß. Und halt mit Bier. Und mit Markus Söder, der herzlich unverdächtig ist, sich der Frage der Notwendigkeit des Politischen Aschermittwochs gedanklich anzunähern.

So kübelte der bayerische Ministerpräsident in Passau auch 2024 munter vor sich hin, unterstellte den Grünen, sie würden so viel Mist machen, »eigentlich müssten sie selbst unter die Düngeverordnung fallen«. Um dann die aus Ostdeutschland stammende Umweltministerin Steffi Lemke, ebenfalls bei den Grünen, mit der verstorbenen Margot Honecker zu vergleichen. Sie wissen schon, die Frau des ehemaligen Staatsratsvorsitzenden der DDR, so hart SED, dass sie selbst in der an Hardlinern nicht armen SED-Spitze kritisch beäugt wurde.

Margot Honecker war für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich und in der DDR verhasst, floh nach dem Zusammenbruch nach Moskau und dann nach Chile und starb dort 2016. Steffi Lemke stammt, das dürfte die einzige Gemeinsamkeit sein, aus der DDR. Sie gehörte in den Zeiten des Zusammenbruchs zu den Begründern der Ost-Grünen. Söder seinerseits befand bei seiner Bierzeltrede, dass diese Steffi Lemke ein Musterbeispiel für den Versuch der Grünen sei, die Freiheit der Fleißigen durch immer neue Auflagen einzuschränken, als »grüne Margot Honecker«.

So weit, so gewöhnlich, könnte man denken, und bestimmt gibt es auch keinen Zusammenhang zwischen dem Feindbild »Grün«, das Söder da bedient, und dem Abbruch des Politischen Aschermittwochs der Grünen im baden-württembergischen Biberach, wo radikale Landwirte die Veranstaltung sprengten. Schließlich ist Söder nicht der einzige Grünen-Basher, das kann mindestens genauso gut die AfD. Nur ist die halt kein bayerischer Ministerpräsident. Bundesumweltministerin Lemke wurde später mit den Worten zitiert: »Herr Söder weiß ganz genau, was er da tut. Das ist nicht im Bierrausch gewesen, sondern ein ganz bewusster Angriff.« Und weiter: Man müsse im politischen Meinungsstreit vorsichtig sein.

Vermutlich wäre auch dieses Paradebeispiel für schlachtfeldhafte Kommunikation schnell in der Versenkung verschwunden, wenn nicht Lemke bei Markus Lanz aufgetreten wäre, was dem Thema weitere Aufmerksamkeit bescherte. Lemke schilderte dort, dass ihr im real existierenden Sozialismus der DDR der Zugang zum Abitur und zum Studium verwehrt worden sei – was aber, so fanden es Kritiker, auch nicht recht wahr, schließlich stehe auf Lemkes Homepage: »1986 bis 1988 Abendschule und Abitur an der Kreisvolkshochschule Dessau; 1988 bis 1993 Studium der Agrarwissenschaften an der Humboldt-Universität, Berlin.«

So weit, so eventuell fragwürdig, auf jeden Fall in der Welt und für Steffi Lemke Grund genug, eine persönliche Erklärung auf ihrer Homepage  zu veröffentlichen. Der Titel: »Meine durch die DDR geprägte Biografie«. Lemke zeichnet darin ihren Weg im Bildungssystem der DDR nach. Ihr sei der Zugang zum regulären Abitur verwehrt worden, denn »das DDR-Bildungssystem unter Margot Honecker war ein System, das an vielen Stellen schon bei sehr jungen Menschen darauf achtete, wer möglicherweise aus Sicht der SED-Diktatur unliebsam ist«.

Sie habe ihr Abitur dann, so schreibt sie in der Erklärung, über die das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) zuerst berichtete, versucht nachzuholen. Tagsüber habe sie als Briefträgerin gearbeitet und abends in der Kreisvolkshochschule gesessen, »nur mit großer Hartnäckigkeit« sei ihr das dort noch möglich gewesen. Und studiert habe sie Agrarwissenschaften, da mögliche Studienrichtungen für sie aufgrund der Vorgeschichte beschränkt gewesen seien. Ihr Lebenslauf sei nichts Besonderes gewesen, denn »so wie mir erging es letztendlich vielen Menschen in der DDR: Willkürliche Entscheidungen, Unterordnen des einzelnen Menschen unter ein vermeintliches Kollektiv, negative Auswirkungen auf ganze Lebensläufe, wenn man tatsächlich oder auch nur vermeintlich nicht systemkonform war.«

Da geht es ihr wie uns, dürften jetzt »Querdenker«, »Reichsbürger« und diverse AfD-Vertreter raunen, wir sind auch nicht systemkonform. Wobei einerseits die Frage gestellt werden müsste, was ein System ist. Und wo andererseits noch auf die letzten Sätze von Lemkes Erklärung verwiesen werden sollte: »Wir dürfen aber nicht vergessen, zu welchen Repressalien, zu welcher Verfolgung, Diffamierung, Inhaftierung, Ausbürgerung und auch dem Ermorden von Menschen das DDR-Regime geführt hat. Wir sollten Freiheit und Demokratie beschützen. Sie sind unendlich wertvoll.«

tgk