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Einzige Sauerteigbibliothek der Welt "Aus Deutschland haben wir einen Teig von 1941"

Der Belgier Karl de Smedt führt die einzige Sauerteigbibliothek der Welt. Hier verrät er, warum manche Italiener Kuhdung in ihren Teig rühren und wie kostbar tausend Jahre alte Hefereste sein können.
Ein Interview von Takis Würger
Sauerteigsammler Karl de Smedt: Bäcker erforschen seine Teige

Sauerteigsammler Karl de Smedt: Bäcker erforschen seine Teige

Foto: Rik Verbraeken/ Puratos

In Belgien, vier Kilometer entfernt von der deutschen Grenze, in der kleinen Stadt St. Vith, lagern verstaut in verglasten Kühlschränken Hunderte Sauerteige in der einzigen Sauerteigbibliothek der Welt. Chefbibliothekar und Hüter dieser Teige ist Karl de Smedt, 49, ein gelernter Zuckerbäcker, der irgendwann gegen Mehl allergisch wurde und seitdem versucht, die Geheimnisse des Sauerteigbrots zu ergründen.

 

SPIEGEL: Herr de Smedt, wie viele Teige hüten Sie?

De Smedt: 128 Teige aus 25 Ländern.

SPIEGEL: Warum?

De Smedt: Wir haben mit 17 italienischen Sauerteigen angefangen. Wir wollten die Vielfalt von italienischem Sauerteig begreifen. Aus der Sicht eines Laien stecken in so einem Sauerteig nur Wasser und Mehl. Aber es gibt eben auch unzählige Mikroorganismen. Wir wollten verstehen, warum ein Sauerteig aus Norditalien andere Mikroben hat als ein Sauerteig von Sardinien.

SPIEGEL: Who cares?

De Smedt: Unsere Kunden. Die Firma, für die ich arbeite und die die Bibliothek bezahlt, liefert Zutaten an Bäcker. Unsere Kunden wollen das beste Brot der Welt backen. Wir haben entschieden, dass wir dafür Sauerteig besser verstehen müssen.

SPIEGEL: Wie sind Sie vorgegangen?

De Smedt: Als wir den italienischen Sauerteig schon hatten, wurde mein Chef in den Libanon in eine Bäckerei eingeladen, der alte Bäckermeister dort hatte Sorge um seinen fermentierten Kichererbsenteig. Seine Söhne waren kurz davor, die Backstube zu übernehmen, wollten aber ohne den fermentierten Teig weitermachen. Deshalb hat der libanesische Bäcker gefragt, ob wir sein Rezept hüten können. So ging es los.

SPIEGEL: Wie sieht Ihre Bibliothek aus?

De Smedt: Regale aus Holz. Zwölf große Kühlschränke mit Glastüren wie alte Coca-Cola-Schränke. Darin stehen die Teige.

SPIEGEL: Ist die Bibliothek öffentlich?

De Smedt: Nein, aber es kommen ab und zu Leute und wollen die Sauerteigbibliothek anschauen. Bäcker kommen manchmal für mehrere Tage und erforschen die Teige.

SPIEGEL: Wie finden die Teige den Weg zu Ihnen?

De Smedt: Ich bekomme jeden Tag Anfragen von Menschen, die ihren Teig in der Bibliothek sehen wollen.

SPIEGEL: Was veranstalten Sie mit dem ganzen Teig?

De Smedt: In jeder Bibliothek studieren die Menschen und versuchen, ihr Wissen zu erweitern oder anders zu denken, das ist bei uns auch so. Wir studieren die Teige. Wir haben das große Glück, vergleichen zu können. Bäcker aus der ganzen Welt sind getrieben von dem Wunsch, ihren Teig besser zu begreifen. Es geht darum, die Mysterien zu entschlüsseln, die einen Sauerteig einzigartig machen: das Wetter, die Luft, das Mehl, das Wasser, die Hände der Bäckerin.

SPIEGEL: Wie funktioniert eigentlich ein Sauerteig?

De Smedt: Für den Teig mischen wir Wasser und Mehl, das ist die ursprüngliche Art. Im Mehl sind unzählige Mikroorganismen, die wir mit dem Wasser aktivieren. Sie fangen an, die Stärke aus dem Mehl zu konsumieren und in CO2 und Alkohol umzuwandeln. Milchsäurebakterien wandeln die Stärke in Milchsäure um. Daher kommt der saure Geschmack. Ähnlich wie Joghurt und Sauerkraut. Vereinfacht gesagt schützt die Säure vor Schimmel. Wir haben immer wieder mit Teigen zu tun, in denen nicht nur normales Wasser und Mehl stecken: Manche Menschen nehmen Wasser, in dem vorher Rosinen gelegen haben oder Erdbeeren. Es gibt auch Bäcker, die nehmen Kuhdung.

SPIEGEL: Wie bitte?

De Smedt: Um den ursprünglichen Panettone-Sauerteig zu machen, nehmen die Bäcker getrocknete Kuhscheiße, legen die Scheiße in Wasser ein, filtern dann das Wasser und backen damit. In der Kuhscheiße finden sich viele Milchsäurebakterien. Diese Bakterien sorgen dafür, dass sich der gebackene Teig von uns besser verdauen lässt. Das ist sehr gesund.

SPIEGEL: Wie viel Arbeit macht Ihre Bibliothek?

De Smedt: Alle zwei Monate müssen wir den Sauerteig mit Mehl füttern. Das dauert ein paar Tage. Das machen wir zu dritt, es ist viel Arbeit.

SPIEGEL: Wir haben auch Sauerteig zu Hause. Den müssen wir jeden Tag füttern.

De Smedt: Wir haben einen Kühlschrank, der vier Grad Celsius kalt ist, darin herrschen luftdichte Bedingungen. Wir verwahren den Teig. Wir haben nicht das Ziel, jeden Tag zu backen.

SPIEGEL: Wie alt ist Ihr ältester Teig?

De Smedt: Mit keiner Methode der Welt lässt sich das Alter eines Sauerteigs feststellen. Wir sind darauf angewiesen, was die Menschen uns sagen. Aus Deutschland haben wir einen Teig aus Stavenhagen von 1941. Ich habe einen Schweizer Teig, der ist von 1868. Ich habe einen Teig aus China, als ich den abgeholt habe, hat mir die Frau gesagt, sie habe ihn von ihrer Großmutter bekommen, die Großmutter habe den Teig wiederum von ihrer Großmutter bekommen, der Teig ist bestimmt 150 Jahre alt - falls die Menschen die Wahrheit sagen.

SPIEGEL: Angeblich hat Seamus Blackley, der Erfinder der Xbox, ein Brot mit Hefe gebacken, die er von einem 4500 Jahre alten ägyptischen Backform gekratzt hat.

De Smedt: Seamus hat von dieser alten Backform ein paar Hefestränge isoliert und damit einen Sauerteig angesetzt. Es ist schwierig zu sagen, ob die Hefestränge im alten Ägypten schon auf dem Ton geklebt haben. In meiner Bibliothek habe ich auch zwei Backformen mit Heferesten aus Babylon, die sind angeblich 1800 Jahre vor Christus getöpfert worden. Wir wollen mit der Hefe demnächst mal backen.

SPIEGEL: Guten Appetit. Die Deutschen glauben ja, sie hätten das Brot erfunden. Was halten Sie davon?

De Smedt: Vor zwei Jahren haben Forscher in Jordanien ein Brot gefunden, das angeblich 14.400 Jahre alt ist. Die Ägypter waren wohl die Ersten, die Sauerteig angesetzt haben. Die Griechen haben das übernommen, dann die Römer. Indien hat eine Brotkultur. China hat eine Brotkultur. In den nordischen Ländern wie Deutschland gibt es eine starke Roggenkultur. Dass die Deutschen das Brot erfunden haben? Ich bin mir da nicht sicher.

SPIEGEL: Sie klingen nicht wie ein Fan des deutschen Brots.

De Smedt: In Deutschland esse ich am liebsten Brötchen.