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Christian Lindner und Wolfgang Kubicki beim Wahlabend der FDP zur Landtagswahl in Schleswig-Holstein.

© imago/Future Image/Frederic Kern

Update

Ampel-Bruch von der FDP geplant?: Lindner reagiert gelassen – SPD-Chef Klingbeil zeigt sich „sehr schockiert“

Berichten zufolge soll die FDP den Regierungskollaps gezielt provoziert haben. Lindner habe „die Fressen nicht mehr sehen“ wollen. Die SPD reagiert harsch, der FDP-Chef wiegelt ab.

FDP-Chef Christian Lindner sieht in Presseberichten über eine angebliche wochenlange Planung seiner Partei für das Aus der Ampel-Koalition keine Neuigkeit. „Es ist Wahlkampf. Wo ist die Nachricht?“, erklärte der frühere Bundesfinanzminister am Samstag in Berlin.

Schließlich habe Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) „eingeräumt, dass er bereits im Sommer über meine Entlassung nachgedacht hat“.

„Und selbstverständlich hätte die FDP ohne Wirtschaftswende die Koalition verlassen müssen“, erklärte Lindner mit Blick auf den monatelangen Streit in der Ampel-Koalition um den richtigen Kurs in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik. „Deshalb hatte ich Olaf Scholz ja auch einen gemeinsamen, geordneten Weg zu Neuwahlen vorgeschlagen. Also, wo ist die Nachricht?“

Das ist demokratieschädigend. Er hat alle hinters Licht geführt.

Lars Klingbeil, Co-Vorsitzender der SPD

SPD-Chef Lars Klingbeil reagierte am Sonntag mit scharfer Kritik auf die Medienberichte über das angebliche Vorgehen der FDP. „Sie hat Papiere geschrieben, die mit dem unpassenden und geschichtsvergessenen Begriff D-Day überschrieben waren. Das schockiert mich sehr“, sagte Klingbeil dem „Handelsblatt“.

Lindner warf er vor, das Land mit „seinem Drehbuch in Geiselhaft“ zu nehmen. „Das ist demokratieschädigend. Er hat alle hinters Licht geführt.“

Klingbeil sprach der FDP die Regierungsfähigkeit ab. „Wer derart agiert, einerseits seine Kompromissbereitschaft öffentlich bekundet, aber eigentlich im Hintergrund den großen Bruch vorbereitet, hat es nicht verdient, Verantwortung für das Land zu tragen“, sagte er. „Es ist richtig, dass Bundeskanzler Olaf Scholz diesem Schmierentheater ein Ende gesetzt und Christian Lindner entlassen hat.“

Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki wies die Vorwürfe der SPD zurück. Zugleich dementierte er den Bericht der „Süddeutschen Zeitung“, wonach die FDP-Führung bei einem Treffen am 29. September in Potsdam mehrheitlich dafür gestimmt habe, das Regierungsbüdnis mit SPD und Grünen zu verlassen.

„Dass am 29. September, also vor wenigen Wochen, die Entscheidung zur Beendigung der Koalition sei getroffen worden, kann ich ausschließen, auch und gerade weil ich als stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP nicht dabei war“, sagte Kubicki dem „Tagesspiegel“. 

Dass sich eine Partei auf alle Szenarien vorbereite, sei aber „ selbstverständlich und professionell“. Die FDP habe seit fast einem Jahr immer wieder darauf gedrängt, endlich die Wirtschaftswende einzuleiten. Von den hart erkämpften 49 Punkten aus dem Sommer sei jedoch nichts umgesetzt worden.

Mit Blick auf Kritik aus der SPD sagte Kubicki, er habe keine Lust, sich „an der Schmierenkomödie, die die SPD jetzt veranstaltet, zu beteiligen“. Bundeskanzler Olaf Scholz habe die Koalition beendet, die SPD-Fraktion habe daraufhin gejubelt.

Empörung bei der SPD und den Grünen

Am Freitagabend hatten „Zeit online“ und die „Süddeutsche Zeitung“ über eine Reihe von Treffen führender FDP-Vertreter berichtet, in denen seit Ende September akribisch der Bruch der Regierung vorbereitet worden sein soll. So soll „Das liberale Drehbuch für den Regierungssturz“ – so der Titel des Artikels von „Zeit online“ – von der FDP-Spitze über mehrere Wochen hinweg geplant worden sein.

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Zudem berichtete auch die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) über die Überlegungen eines geplanten Bruchs der Koalition mit der SPD und den Grünen. Demnach soll es auch Auseinandersetzungen und gegenseitige Vorwürfe im parteiinternen Führungskreis gegeben haben. Aus den Reihen der ehemaligen Regierungspartner SPD und den Grünen kamen empörte Reaktionen auf die Berichte.

Wie „Zeit“ und SZ übereinstimmend berichten, soll der Startpunkt der Überlegungen im FDP-Führungszirkel ein Treffen am 29. September in der „Truman-Villa“ in Potsdam gewesen sein. Dort hat die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung ihren Sitz.

Projekt „D-Day“ missfiel Wissing

Teilgenommen hätten neben Parteichef Lindner unter anderen die damaligen FDP-Minister Marco Buschmann (Justiz), Bettina Stark-Watzinger (Bildung) und Volker Wissing (Verkehr), der inzwischen aus der Partei ausgetreten ist. Insgesamt seien zwölf Personen beteiligt gewesen. Die Zeitung beruft sich dabei auf Beteiligte sowie auf Dokumente, die in den entscheidenden Wochen entstanden seien.

Der „Zeit“ zufolge seien bei mehreren Treffen der FDP-Führung drei Szenarien durchgespielt worden. Bei den beiden ersten habe es sich um das „Wolfgang-Gerhardt-Szenario“, einer konstruktiven Weiterbeteiligung an der Regierung, und um das „Gerhard-Schröder-Szenario“, dem Bestreben, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zur Vertrauensfrage zu bewegen, gehandelt.

Das dritte Szenario sei parteiintern als Projekt „D-Day“ bezeichnet worden. Demnach sollte der Bruch der Regierung selbst provoziert werden – also das, was schlussendlich geschehen ist: Die FDP wollte SPD und Grüne so weit reizen, bis Scholz die FDP-Minister entlässt.

Ex-Finanzminister Christian Lindner von der FDP beim SZ-Wirtschaftsgipfel.

© AFP/TOBIAS SCHWARZ

Pikant erscheint eine Passage in dem „Zeit“-Bericht, die Details einer Sitzung vom 14. Oktober schildert. Demnach habe es dabei einen „Ausbruch des Parteichefs“ gegeben. Die FDP müsse raus aus der Ampel-Koalition. Er könne „diese Fressen einfach nicht mehr sehen“, soll Lindner laut Teilnehmern des Treffens gerufen haben.

Der SZ zufolge habe sich die Zwölferrunde bereits beim ersten Treffen am 29. September mehrheitlich für das Ende der Ampel ausgesprochen. Lediglich Verkehrsminister Wissing und der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner seien dagegen gewesen. 

Die Beteiligten wollten sich auf Anfrage der „Zeit“ zu der Recherche nicht äußern. Buschmann erklärte demnach, dass er die zitierten Äußerungen weder bestätigen noch dementieren wolle.

Stark-Watzinger, Wissing und FDP-Fraktionschef Christian Dürr ließen demnach ausrichten, dass sie grundsätzlich nicht aus internen Sitzungen berichteten. 

In dem Bericht wird allerdings ein Parteisprecher mit den Worten zitiert, es habe in den vergangenen Monaten „immer wieder und in verschiedenen Runden eine Bewertung der Regierungsbeteiligung“ stattgefunden. „Selbstverständlich wurden immer wieder Szenarien erwogen und Stimmungsbilder eingeholt.“

Am Samstag zeigte sich zudem der frühere Bundesinnenminister und FDP-Mitglied Gerhart Baum von den Berichten persönlich enttäuscht und düpiert. „Natürlich muss man mich nicht informieren, aber noch am 26. Oktober habe ich in einer TV-Sendung öffentlich für den Verbleib in der Ampel plädiert, während eine Spitzengruppe offenbar bereits ihren Abmarsch plante“, sagte Baum dem Spiegel. Die Darstellung von Christian Lindner als Opfer des Kanzlers sei nun brüchiger geworden.

SPD spricht von „politischem Betrug auf Kosten der gesamten Republik“

Aus den Reihen der ehemaligen Ampel-Bündnispartner gab es indes empörte Reaktionen auf die Medienberichte, allen voran aus der SPD. „Die Wahrheit über den Bruch der Koalition tritt immer deutlicher zutage“, sagte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich dem „Spiegel“. Er fühle sich getäuscht und sei enttäuscht.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich am Dienstag im Deutschen Bundestag.

© IMAGO/Fotostand/Reuhl

Zudem äußerte sich Mützenich entsetzt, dass die FDP ihr Drehbuch mit „D-Day“ und das erst kürzlich geleakte Wirtschaftspapier als „Torpedo“ bezeichnet hat. Die Benutzung von Erinnerungen an die Befreiung vom Faschismus und von tödlichen Werkzeugen für die politische Inszenierung zeige, „wie tief Herr Lindner gefallen ist“. Dies zeige, „wie richtig und wichtig es war, dass Olaf Scholz diesen ehrlosen Mann vor die Tür gesetzt hat“.

„Deutschland darf nicht von Leuten regiert werden, die derart verantwortungslos und betrügerisch die Öffentlichkeit an der Nase herumführen. Christian Lindner und wichtige Teile der FDP haben sich als politische Kraft völlig disqualifiziert“, fügte Mützenich an.

Christian Lindner und seine FDP haben sich mit diesem Schmierentheater auf Kosten des Landes als politische Kraft disqualifiziert.

Saskia Esken, SPD-Vorsitzende

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nannte den geschilderten Vorgang eine „unfassbare Enttäuschung“. Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt quittierte die „bemerkenswerten“ Berichte mit einem knappen „aha“.

„Verantwortung als Fremdwort, Bösartigkeit als Methode: Ich bin tief erschüttert über dieses Verhalten der FDP“, schrieb zunächst Arbeitsminister Hubertus Heil von der SPD auf der Plattform X.

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SPD-Co-Chefin Saskia Esken ging mit der FDP hart ins Gericht. „Der Schaden, der der Vertrauenswürdigkeit von Politik zugefügt wurde, ist nicht zu ermessen“, sagte Esken beim Landesparteitag der baden-württembergischen SPD in Offenburg. „Christian Lindner und seine FDP haben sich mit diesem Schmierentheater auf Kosten des Landes als politische Kraft disqualifiziert“, sagte Esken.

Ähnlich äußerte sich SPD-Generalsekretär Matthias Miersch. Der Bericht zeige offenbar einen „politischen Betrug auf Kosten der gesamten Republik“, sagte er der dpa. In einer Zeit, in der es um die Stabilisierung unserer Wirtschaft, sichere Arbeitsplätze und die Bewältigung internationaler Krisen gehe, habe die FDP „scheinbar ein Drehbuch geschrieben“, das auf „die Zerstörung der Regierungsarbeit“ abgezielt habe. „Das ist nicht nur verantwortungslos, sondern markiert einen Tiefpunkt unserer politischen Kultur.“

Wenn man sich anschaut, wie präzise die FDP-Führung den Koalitionsbruch geplant hat, dann lässt sich auch die bisweilen schlechte Performance der Ampel in den letzten drei Jahre erklären.

Irene Michalic, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion

Die scheidende Politische Geschäftsführerin der Grünen, Emily Büning, reagierte mit Unverständnis auf die Medienberichte. „Wir machen so nicht Politik“, sagte Büning am Rande des Bundesparteitags in Wiesbaden. „Wir sind in die Regierung gegangen, um Verantwortung zu übernehmen und nicht, um Spielchen zu spielen und Theaterszenen zu planen.“ Sie fügte hinzu: „Der Plan ist ja auch nicht ganz so aufgegangen.“

Auch bei den Grünen sorgten die Berichte für Empörung. „Wenn man sich anschaut, wie präzise die FDP-Führung den Koalitionsbruch geplant hat, dann lässt sich auch die bisweilen schlechte Performance der Ampel in den letzten drei Jahre erklären“, sagte Irene Michalic, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, dem „Spiegel“.

Demnach habe die Führungsspitze der FDP damit nicht nur ihre Regierungsunfähigkeit, sondern auch ihre Politikunfähigkeit bewiesen, so Michalic. „Diese Truppe braucht wirklich niemand. Sie schadet unserem Land.“

SPD und FDP hatten sich in den vergangenen Tagen wechselseitig vorgeworfen, das Ende der Ampel provoziert zu haben. Wirbel lösten in dieser Woche auch Äußerungen des neuen Bundesfinanzministers Jörg Kukies (SPD) zum Ablauf des Zerbrechens der Koalition aus. Kukies war am Dienstag beim Wirtschaftsgipfel der SZ gefragt worden, wann er gewusst habe, dass er eine neue Aufgabe bekomme.

Der bisherige Wirtschaftsberater des Kanzlers antwortete: „sehr kurz davor“. Auf Nachfrage präzisierte er: „Einen Tag vor dem Mittwoch, dem Koalitionsausschuss, haben wir zum ersten Mal abstrakt darüber gesprochen, dass das eine Möglichkeit sein könnte.“ 

Aus den Reihen von Union und FDP wurde dem Kanzler daraufhin vorgeworfen, er habe den Rauswurf des bisherigen Finanzministers Lindner und damit den Bruch der Ampel beim Koalitionsausschuss vor einer Woche gezielt herbeigeführt. (cst, lem, fki)

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